
Bolsonaro schweigt weiter und Brasilien steht still
Brasilien steht still. Nach der Niederlage des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro bei der Stichwahl am Sonntag blockieren seine Unterstützer Fernstraßen in dem riesigen Land. Sowohl rund um die Millionenmetropolen Rio de Janeiro und São Paulo als auch in der tiefsten Provinz stecken sie Reifen in Brand, errichten Barrikaden und stoppen den Verkehr.
Sie wollen nicht hinnehmen, dass Bolsonaro die Wahl gegen seinen linken Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva knapp verloren hat. Lula kam auf 50,90 Prozent, Bolsonaro auf 49,10 Prozent - es ist der wohl knappste Wahlausgang in Brasilien seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie Ende der 1980er Jahre.
"Es ist die Position des Präsidenten, die den Verlauf der Proteste bestimmen wird. Wir warten darauf, dass er spricht. Entweder zieht Bolsonaro in den Krieg, oder er wird von der politischen Bühne verschwinden, denn dann ist er nicht der Führer, für den wir ihn gehalten haben", sagt der Fernfahrer Janderson Maçanero im Fernsehsender Globo.
Doch der amtierende Staatschef schweigt seit der Wahlnacht. Bis Dienstag äußerte er sich nicht zu seiner Niederlage. Wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte auch Bolsonaro vor der Abstimmung immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. Sollte er nun das Resultat anzweifeln, könnte sich seine zum Teil bewaffneten Anhängern möglicherweise zu gewalttätigen Protesten ermutigt fühlen.
Über 220 Straßenblockaden von Bolsonaro-Anhängern registrieren die Behörden am Dienstag. Die Fernstraßen sind für die Versorgung des Landes essenziell, der Großteil der Güter wird in Brasilien mit Lkw transportiert. "Die Haltung des derzeitigen Präsidenten der Republik, Jair Bolsonaro, der sich in Schweigen hüllt und die Wahlergebnisse nicht anerkennt, hat die Befriedung des Landes erschwert und einige seiner Anhänger zu Blockaden auf brasilianischen Straßen veranlasst", heißt es in einer Mitteilung der Gewerkschaft der Autobahnpolizei.
Der Präsident des Obersten Wahlgerichts, Alexandre de Moraes, weist die Polizei schließlich an, die Straßensperren abzuräumen. Teilweise geht die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vor. "Die Wahlen sind vorbei, wir leben in einem demokratischen Land. Keine Demonstration wird die brasilianische Demokratie zum Rückzug zwingen", sagt der Gouverneur von São Paulo, Rodrigo Garcia, bevor er die Militärpolizei in den Einsatz schickt.
Die Proteste zeigen, wie polarisiert das größte Land Lateinamerikas ist. Das Land ist praktisch in zwei Lager gespalten. Nach seinem Wahlsieg schlägt Lula sogleich versöhnliche Töne an. "Es ist an der Zeit, die Familien wieder zusammenzuführen und die Bande der Freundschaft wiederherzustellen", sagt er. "Niemand ist daran interessiert, in einem geteilten Land zu leben, in einem permanenten Kriegszustand."
Den Wahlkampf hatten beide Kandidaten mit harten Bandagen geführt. Wochenlang überzogen sie sich mit Beleidigungen, Anschuldigungen und Falschinformationen. Aus politischen Gegnern wurde erbitterte Feinde. Der Riss ging häufig mitten durch Familien, Freundeskreise und Nachbarschaften. Nun ist es an Lula, die Gräben wieder zuzuschütten und die Menschen miteinander zu versöhnen.
"Ich bin hier, um dieses Land in einer sehr schwierigen Situation zu regieren. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit Hilfe des Volkes einen Ausweg finden werden, damit dieses Land wieder demokratisch und harmonisch leben kann", sagt Lula bei seiner Siegesrede. "Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk. Es ist an der Zeit, die Waffen niederzulegen."