
Präsident Selenskyj zu russischen Angriffen: "Das hilft euch schon nicht mehr - Ihr habt schon verloren"
Im Konflikt mit Russland wegen des Ukraine-Kriegs sucht die Europäische Union den Schulterschluss mit ihren Nachbarn. In Prag trafen sich Bundeskanzler Olaf Scholz und mehr als 40 weitere Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zum Gipfel. Die EU beschloss zugleich formal weitere Russland-Sanktionen, darunter einen Ölpreisdeckel. Moskau reagierte mit Drohungen, Ölexporte umzuleiten. Im Kriegsgebiet meldet die Ukraine weiter Erfolge.
So sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft von der Rückeroberung dreier weiterer Ortschaften im Gebiet Cherson. Die jüngsten russischen Angriffe mit iranischen Kampfdrohnen auf ukrainische Städte seien zwecklos. "Das hilft euch schon nicht mehr. Ihr habt schon verloren", wandte er sich an die russische Führung. Diese könne ihre eigenen Soldaten nicht mehr motivieren, meinte Selenskyj.
In Russland hatte eine Teilmobilmachung Ende September Panik unter vielen jungen Männern und eine Massenflucht über die Grenzen ausgelöst. Präsident Wladimir Putin versucht nun nach eigener Darstellung, Fehler zu beheben. Per Dekret stellte er weitere Gruppen vorerst vom Militärdienst frei: Studenten an Privat-Unis mit staatlicher Zulassung, Postgraduierte und angehende Priester.
Offiziell gibt sich Putin weiter siegesgewiss. Nach etlichen Rückschlägen in der Ostukraine meldete das russische Verteidigungsministerium die Einnahme der Siedlung Sajzewe im Gebiet Donezk und die Tötung von 120 ukrainischen Soldaten. Die Angaben der Kriegsparteien lassen sich kaum unabhängig überprüfen. Nach Einschätzung britischer Geheimdienste steht das russische Militär unter anderem am Dnipro-Fluss in der Ukraine unter Druck.
Am Mittwoch hatte Putin formal die völkerrechtswidrige Annexion der Gebiete Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja im Osten und Süden der Ukraine besiegelt, kontrolliert aber keine dieser Regionen komplett. Zugleich verfügte der Präsident die Verstaatlichung des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja. Wegen der Gefahr einer Nuklearkatastrophe will der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, in Kiew und Moskau verhandeln. Der Kreml bestätigte, dass sein solches Treffen vorbereitet werde.
Der russische Angriffskrieg und die dadurch ausgelöste Wirtschafts- und Versorgungskrise sind Hintergrund für das Prager Treffen der sogenannten Europäischen Politischen Gemeinschaft. Das ist ein neues Format, erdacht vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron: die 27 EU-Staaten und die wichtigsten Nachbarn, darunter das Ex-Mitglied Großbritannien. Selenskyj war zu einer Videoansprache eingeladen.
Scholz sprach in Prag von einer "großen Innovation". Mit Blick auf den Ukraine-Krieg sagte der Kanzler: "Es ist schon sehr sichtbar, dass alle, die hier zusammenkommen, wissen: Dieser russische Angriff auf die Ukraine ist eine brutale Verletzung der Sicherheits- und Friedensordnung, die wir in den letzten Jahrzehnten in Europa hatten." Es sei wichtig, "dass wir diesen Angriff zurückweisen, dass wir nicht akzeptieren, dass ein Teil des Nachbarlandes annektiert wird".
Präsident Macron rief die insgesamt 44 Staaten dazu auf, Europas Herausforderungen zusammen anzugehen. Ziel sei es, dass man zu einer gemeinsamen Einschätzung der Lage komme und eine gemeinsame Strategie entwickeln könne.
Das am Donnerstag formal beschlossene neue EU-Sanktionspaket soll die russische Kriegswirtschaft weiter unter Druck setzen. Das Paket ist unter anderem die rechtliche Grundlage für einen von den G7-Staaten unterstützten Preisdeckel auf Ölimporte aus Russland. Dieser soll die Einnahmen Moskaus reduzieren. So soll der Seetransport von Erdölprodukten und Rohöl aus Russland weltweit nur noch möglich sein, wenn das Öl unter einem bestimmten Preis gekauft wurde. Gelingen soll dies, indem bestimmte Dienstleistungen wie Versicherungen für Öltransporte an die Einhaltung der Regel geknüpft werden.