"Die Armee ist in einem desolaten Zustand", urteilte jüngst Tobias Ellwood, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und Parteifreund des konservativen Premierministers Rishi Sunak. Müsste die Truppe in den Krieg ziehen, ginge wohl schon nach wenigen Tagen die Munition aus, berichtete Sky. Die meisten Panzer und gepanzerten Fahrzeuge seien 30 bis 60 Jahre alt, Ersatz sei nicht in Sicht. Nun sagte Sunak sogar die Ausbildung ukrainischer Kampfpiloten an - und verwunderte damit sogar Verbündete. Die Royal Air Force sei doch schon mit dem eigenen Bedarf am Anschlag, meinte ein westlicher Diplomat.
Britische Verteidigungspolitiker machen die massiven Einsparungen der vergangenen Jahre für die Misere verantwortlich. Klasse statt Masse, sollte das Motto werden. Noch unter dem damaligen Premier Boris Johnson, der sich auch als Hinterbänkler regelmäßig als engster Verbündeter der Ukraine präsentiert und seinen Nachnachfolger Sunak mit Forderungen nach Kampfjetlieferungen unter Druck setzt, war die Truppenzahl deutlich gesenkt worden.
Klar ist aber auch, dass das Nato-Mitglied Großbritannien mit seinen Problemen innerhalb des Verteidigungsbündnisses nicht alleine da steht. In Deutschland wird bereits seit Jahren über veraltete und mangelhafte Ausrüstung diskutiert. In Italien berichtete jüngst die Zeitung "La Repubblica" von einer möglichen Gefahr für die landeseigene Verteidigung, wenn High-Tech-Waffen wie das Flugabwehrsystem SAMP/T an die Ukraine geliefert würden. Und auch in Ländern wie den Niederlanden oder Spanien fehlt es in Folge der Sparzeit nach dem Ende des Kalten Krieges derzeit an modernem Material und Personal. Aus Frankreich kommen nicht ganz so düstere Berichte. Das Land liefert allerdings nur beschränkt Waffen an die Ukraine, um sich selbst nicht zu sehr zu schwächen.
Wie groß die Diskrepanz zwischen Ist und Soll bei den Streitkräften in Europa ist, lässt sich nicht zuletzt an den Verteidigungsausgaben ablesen. 2014 bekräftigten alle Nato-Staaten bei einem Gipfel, dass jedes Land mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgeben soll, um seine Ziele zu erreichen und Fähigkeitslücken des Bündnisses zu schließen. Bis heute erreicht allerdings nicht einmal die Hälfte der Alliierten dieses Ziel.
Spitzenreiter im Verhältnis von Wirtschaftskraft und Verteidigungsausgaben sind die USA. Sie lagen nach Nato-Zahlen zuletzt bei einer Quote von 3,47 Prozent. Mit 822 Milliarden US-Dollar (768 Mrd Euro) zahlte Washington zuletzt mehr als doppelt so viel Geld für Verteidigung wie alle anderen Bündnisstaaten zusammen. Zum Vergleich: Die größte europäische Volkswirtschaft Deutschland gab 2022 nach Nato-Standard geschätzt 55,6 Milliarden Euro aus, Großbritannien als Nummer Eins in Europa umgerechnet rund 60,9 Milliarden Euro. Neben den USA und Großbritannien erreichten nur Griechenland, Polen, Litauen, Estland, Lettland, Kroatien und die Slowakei das Zwei-Prozent-Ziel.
Von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Militärs gibt es deswegen seit Jahren Druck auf Länder wie Deutschland, die Ausgaben zu steigern. Zudem wird seit Monaten verstärkt dafür geworben, der Rüstungsindustrie mit festen Aufträgen die langfristige Nachfrage zu liefern, die sie zur Steigerung der Produktionskapazitäten benötigt.
Deutliche Worte fand jüngst der CSU-Vize und Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. "Wir brauchen - auch wenn der Begriff kein einfacher ist - eine Art Kriegswirtschaft in der EU, um Stabilität und Sicherheit gewährleisten zu können", sagte Weber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die europäischen Staaten seien derzeit nicht in der Lage, notwendige Rüstungsgüter schnell bereitzustellen - weder für die eigene Verteidigung noch für Kiew. Am Dienstag und Mittwoch steht das Thema Waffen- und Munitionsbestände nun auch auf der Tagesordnung eines Verteidigungsministertreffens der Nato-Staaten in Brüssel.
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