
Für die Welt überraschend kam es Mitte 2017 zum Zerwürfnis innerhalb der arabischen Welt, als eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition, die auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Bahrein umfasste, die diplomatischen Beziehungen zu Katar abbrach und die Grenzen sowohl für den Besucher- als auch den Güter- und Warenverkehr schloss. Hintergrund der Krise war der Vorwurf, Katar unterstütze islamistische Terrorgruppen wie Al-Qaida, die syrische Al-Nusra-Front und den "Islamischen Staat" (IS). Auf Hilfe konnte die Regierung in Doha damals nur aus dem Iran und aus der Türkei hoffen.
Die Isolation – sie betraf neben den Land- und Seeverbindungen auch die staatliche Fluggesellschaft Qatar Airways – setzte dem kleinen Land, das 2022 die Fußballweltmeisterschaft ausrichten wollte, enorm zu. Katar erklärte sich zum Dialog mit den arabischen Staaten bereit. Gleichzeitig unterstützten der Iran und die Türkei das auf einer Halbinsel im Persischen Golf gelegene Emirat mit Frachtflügen und überlebensnotwendigen Hilfslieferungen per Schiff.
Trotz eines Ultimatums an Katar und der Rückendeckung für das saudi-arabische Vorgehen durch die damalige Trump-Administration in den USA, blieb das Emirat bei seiner außenpolitischen Linie. So bezahlt Katar bis heute laut der Nachrichtenagentur Reuters alle Gehälter im öffentlichen Sektor in Gaza – zudem einen Teil der monatlichen Ausgaben der Behörden in Höhe von 30 Millionen US-Dollar für Treibstoff zur Stromgewinnung.
2021 gab Saudi-Arabien die Blockade Katars auf. Auch an zwei weiteren "Fronten" hatte es das Königreich nicht vermocht, den "iranisch-türkischen" Block, zu dem es auch Katar rechnete, zurückzudrängen: Im jemenitischen Bürgerkrieg, wo sich die Huthi-Miliz auch durch iranische Hilfe gegen die saudisch-emiratische Militärkoalition verteidigen konnte und in Libyen, wo es dem saudisch-ägyptischen Verbündeten General Chalifa Haftar nicht gelang, seine Macht auf den Westen des Landes auszubreiten, wo sich mit der Türkei verbündete islamistische Kräfte behaupteten.
Mit dem Ausscheiden seines wichtigsten Verbündeten Donald Trump in den USA Anfang 2021, änderte Saudi-Arabien seine außenpolitischen Prämissen – in der Folge betrieb Riad eine Annäherung an den Iran, an die Türkei, auch an Israel. Verstand man sich früher als führender Anti-Terrorkämpfer und Anführer des arabisch-islamischen Blocks an der Seite des Westen, so scheint Saudi-Arabien heute vor allem im ureigenen Interesse zu agieren, mit wechselnden Verbündeten.
Für den Islamwissenschaftler Udo Steinbach war "diese fundamentale Änderung in der saudischen Außenpolitik einhergehend mit dem Zurückfahren alter Feindschaften der Auftakt für eine Verschiebung der Machtkoordinaten im Nahen und Mittleren Osten weg vom Mittelmeer und der einstigen Regionalmacht Ägypten hin zum Golf. Dort spielt künftig machtpolitisch die Musik", so der frühere Leiter des Orientinstituts. Katar befand sich plötzlich im Epilog-Zentrum des neuen "Kraftfelds".
"Der Emir hat das Beste aus der geopolitischen Mittellage seines Landes gemacht. Wir dürfen nicht vergessen, dass Katar in der delikaten Situation ist, das größte Erdgasfeld der Welt mit Iran teilen zu müssen", äußert der Islamwissenschaftler und ehemalige BND-Mitarbeiter Gerhard Conrad. "Doha muss also mit Teheran mehr kooperieren und koordinieren als andere arabische Golfanrainer."
Laut Steinbach "birgt es eine gewisse Tragik, dass Israels Regierung das nicht erkannt hat. Mit minimalen Konzessionen den Palästinensern gegenüber hätte Israel in Kooperation mit den Golfstaaten das Fundament für einen tragfähigen Frieden in der Region legen können". Doch bekanntlich kam es anders.
Heute fällt Katar eine Schlüsselstellung als Vermittler zu, basierend auf den langjährigen Beziehungen zur Hamas. Die konnte es aber nur wahrnehmen, weil es früh begonnen hatte, Brücken zu allen Konfliktparteien zu errichten. Bereits 2012 hatte die vom Iran unterstützte Hamas in Doha ein politisches Büro eingerichtet. 16 Jahre zuvor, im Jahr 1996, hatte das Emirat diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen – als einer der ersten arabischen Staaten. Diese brach Katar zwar in Folge einer israelischen Strafexpedition gegen die Hamas in Gaza 2009 wieder ab, doch die diplomatischen Kanäle nach Jerusalem blieben intakt.
Für Aufsehen sorgte der in Doha ansässige staatsnahe, panarabische Nachrichtensender Al Jazeera, als er in der gesamten arabischen Welt erstmals Landkarten im Programm zeigte, auf denen Israel als Staat gekennzeichnet wurde. Anfangs wurde Al Jazeera noch als ideologisches Sprachrohr der Muslimbrüder wahrgenommen, doch das änderte sich alsbald. Analog zur Politik des Emirats ließ auch der Sender ideologischen Ballast hinter sich.
Katar betonte stets, dass es seine finanzielle Unterstützung der Hamas als Teil einer international Übereinkunft versteht. Gleichzeitig sollen die Radikal-Islamisten so politisch eingebunden und "bedingt kontrolliert" werden - sonst hätte der Iran freie Hand. Es gehe Doha darum, "zu kommunizieren und Frieden und Ruhe in die Region zu bringen", begründete Katars Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman al-Thani jüngst die Hamas-Präsenz im Land.
"Natürlich kann Doha mit der Hamas nur sprechen, weil dessen politische Führung ja seit Jahren in Katar Gastrecht genießt", betont Conrad, der einst selbst als Vermittler bei Geiselbefreiungen aktiv war. "Katar hat sich bereits seit den frühen 2000er Jahren immer wieder als Vermittler zwischen islamistischen Kräften hervorgetan, so insbesondere auch im Libanon 2008 zwischen den verfeindeten Kräften", so Conrad.
Was Katars Position zusätzlich stärke, ist laut Udo Steinbach "der geschickte Schachzug des Emirs, aus der Fußballweltmeisterschaft 2022 ein ‚pan-arabisches Ereignis‘ zu machen. Das hat das Selbstbewusstsein der Staaten des Golfkooperationsrats enorm gestärkt".
"Katar spielt bei seinen Vermittlungsbemühungen eine Vorbildrolle", äußerte Joost R. Hiltermann, Direktor des Nahost-Nordafrika-Programms beim Think-Tank International Crisis Group in Brüssel. "Aber es gibt einen politischen Block in den USA, der mit Katars Freundschaft mit der Hamas unzufrieden ist."
Zwei republikanische Kongressabgeordnete haben Katar aufgefordert, "die Führung der Hamas aus Doha auszuliefern". Und Mitte Oktober, kurz nach der verheerenden Attacke von Hamas-Terroristen auf israelische Zivilisten, forderte auch US-Außenminister Blinken beim Besuch in Doha, mit der Hamas-Präsenz in Katar könne es nicht so weitergehen. EU-Vertreter kritisierten zudem, Doha habe nicht alle Möglichkeiten genutzt, auf die Terrorgruppe mäßigend einzuwirken.
Steinbach hält das wohlfeil: "Nicht einmal Israels hocheffizienter Sicherheitsapparat hat gemerkt, was da in unmittelbarer Nähe geplant wird. Ich bin überzeugt, in Doha war man am 7. Oktober genau spontan überrascht wie in Jerusalem." Gerhard Conrad glaubt, "Katars Eigeninteresse an einer möglichst raschen Schadensbegrenzung in und um Gaza ist hoch."
Doch auch im Westen sorgte die nie endgültig geklärte Frage, ob das Emirat als Mittler die ideologische Agenda der Terroristen unterstützt, für eine gewisse Skepsis. "Politische Affinitäten bestehen auf der Basis der Ideologie der Muslimbrüder, die von beiden Seiten geteilt wird", erklärt Gerhard Conrad. Was aber darauf zurückzuführen war, dass "Katar meist die Gegenspieler von Saudi Arabien und Ägypten unterstützte, so auch in Libyen, oder auch die Taliban. Katar zielte offenbar darauf ab, im Bündnis mit den Islamisten eine neue regionale Ordnung zu schaffen, in der das Emirat eine beherrschende Rolle einnehmen würde".
Doch das tritt heute in den Hintergrund. "Zugleich ist Katar seit langem ein relevanter strategischer, sicherheitspolitischer und militärischer Partner für die USA, ebenso wie für Israel." Tatsächlich sind auf dem 1999 ausgebauten US-Luftwaffenstützpunkt Al Udeid 32 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Doha bis heute rund 10.000 US-Militärangehörige mit über 100 Flugzeugen dauerhaft stationiert. Der Stützpunkt war 1991 eingerichtet worden, nachdem eine arabisch-amerikanische Allianz den irakischen Diktator nach dessen Überfall aus Kuwait vertrieben hatte (Zweiter Golfkrieg oder "Operation Desert Storm").
Selbst Israel würdigte jüngst die Vermittlungsbemühungen des Emirats: Der Golfstaat sei "zu einer wesentlichen Partei und einem wichtigen Interessenvertreter bei der Erleichterung humanitärer Lösungen" geworden, äußerte der nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi. "Katars diplomatische Bemühungen sind in dieser Zeit von entscheidender Bedeutung", schrieb Hanegbi auf X, ehemals Twitter.
Noch vor kurzem habe Katar, weltweit größter Gasproduzent, vor allem als Rohstofflieferant und wichtiger Käufer amerikanischer Waffen seine internationale Relevanz begründet. Heute verfügt Katar über eine viel wichtigere Ressource: Als Vermittler im Nahostkonflikt sei das Emirat unverzichtbar - weil es "das Monopol über diese Beziehungen hat, das Monopol über diesen Konflikt, da es mit beiden Seiten auf eine Weise sprechen kann, wie es kein anderer Spieler auf der Welt kann", sagt Andreas Krieg, außerordentlicher Professor am King‘s College London. Auch die Türkei und Ägypten hatten um die Vermittlerrolle gebuhlt. Doch Katars Beziehung zur Hamas sei "ein Schlüsselelement der Vermittlungsstrategie" gewesen, so Krieg.

Firmengründung und Registrierung in Dubai
"Katar hat das finanzielle Potential, das weder die Türkei noch Ägypten haben. Es ist glaubwürdiger in seiner langjährigen konstanten Unterstützung der Muslimbrüder und damit auch von Hamas", ordnet der ehemalige Nahost-Unterhändler Conrad ein. "Auf der anderen Seite ist es zentraler sicherheits- und energiepolitischer ebenso wie wirtschaftlicher Ansprechpartner für die USA sowie für zahlreiche westliche Staaten. Diese Mischung aus finanzieller und energiepolitischer Potenz, geopolitischer Schlüsseloposition im Golf und allseitiger Gesprächsfähigkeit hat sonst keiner."
Doch Katars diplomatisches Geschick ist nicht nur im Nahen Osten, sonder auch auf anderen Kriegsschauplätzen gefragt: Dmytro Lubinets, ukrainischer Ombudsmann für Menschenrechtsfragen, äußerte am Mittwoch in der Nachrichtenagentur Ukrinform, dass "Katar bereit sei, sich als Vermittler am Prozess der Rückführung ukrainischer ziviler Geiseln zu beteiligen, die nach Russland deportiert wurden oder sich in den von Russland besetzten Gebieten aufhalten". Bislang sei man dabei wenig erfolgreich.