Viele Brienzer hatten damit gerechnet, dass sie ihre Häuser vorübergehend verlassen würden, waren aber unglücklich darüber, dass der Räumungsbefehl so plötzlich gekommen war. Tage bevor der Befehl kam, war ihnen mitgeteilt worden, dass sie irgendwann im Spätsommer umziehen würden. Stattdessen wurden sie am 9. Mai zu einer Notfallsitzung im Dorf einbestellt und ihnen wurde mitgeteilt, dass sie 48 Stunden Zeit hätten, das Dorf zu verlassen. In den Wochen danach äußerten einige ihre Frustration darüber, dass der vorhergesagte massive Steinschlag nicht eingetreten war. Sie fragten, warum sie nicht nach Hause gehen könnten, wenn die Steine langsam und harmlos herunterzurieseln schienen. Am Donnerstagabend antwortete der Berg.
Mindestens die Hälfte des schätzungsweise zwei Millionen Kubikmeter großen Lockergesteins stürzte herab. Zur Erleichterung der Dorfbewohner meldeten Hubschrauber, die den Ort untersuchten, keine offensichtlichen Schäden an Häusern, aber es besteht kaum Aussicht, bald nach Hause zurückzukehren. Auf dem Berg darüber liegen noch bis zu eine Million Kubikmeter Lockergestein. Auch wenn die herabfallenden Steine die Häuser der Menschen nicht zerstören, besteht für jeden in der Umgebung eine Gefahr.
Christian Gartmann, Sprecher der Dorfverwaltung, sagte gegenüber dem Schweizer Fernsehen, dass große Felsbrocken, die beim Fallen aufeinanderprallen, zu Felssplittern führen könnten, die "wie Kanonenkugeln" herumschleuderten, Fenster zerschmetterten und schwere Verletzungen verursachten. Manche fragen sich, ob die Situation von Brienz auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Die Alpenregionen der Schweiz reagieren besonders empfindlich auf die globale Erwärmung. Wenn die Gletscher schrumpfen und der Permafrost hoch in den Bergen zu tauen beginnt, wird das Gestein instabil.
Tatsächlich gibt es auf dem Berg oberhalb von Brienz keinen Permafrost, aber der ungewöhnlich starke Regen dieses Frühlings, der auch mit der globalen Erwärmung zusammenhängt, war sicherlich ein Faktor bei der Evakuierungsanordnung. Der vom Wasser durchnässte Berghang begann immer schneller in Richtung Tal abzurutschen. Geologen warnen, dass Berggebiete aufgrund des Klimawandels mit weiteren Steinschlägen rechnen müssen. Das Warten auf die Heimreise geht für die Brienzer Bevölkerung vorerst weiter.
dp/fa
