
Jetzt steht der Schriftzug knallrot auf weißem Untergrund, und das gesamte Logo zeigt schräg nach oben, was wohl den kommenden Aufstieg symbolisieren soll. "Wir wollen die Linke erneuern, und dazu gehört auch ein neues Corporate Design", sagt Parteichef Martin Schirdewan (48), der sich in Augsburg um die Spitzenkandidatur zur Europawahl bewirbt. Hinter ihm soll auf der Liste die parteilose Klima- und Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete (35) folgen.
Der ebenfalls parteilose Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert, der sich seit Jahren in der Obdachlosenhilfe engagiert, ist mit seinen 67 Jahren altersmäßig ein Ausnahmekandidat, denn auch auch bei der personellen Aufstellung setzt die Linke auf Erneuerung. So wird auf Listenplatz 5 die 28-jährige Daphne Weber aus dem Landesverband Niedersachsen stehen, wenn sie am Samstag gewählt wird. Die Kulturwissenschaftlerin, die derzeit an der Humboldt-Universität in Berlin arbeitet, findet das neue Logo ihrer Partei "freundlicher und nicht mehr so konfrontativ". Sie sagt: "Wir müssen einladender rüberkommen, uns mehr öffnen."
Das sieht auch Parteichefin Janine Wissler (42) so, die mit einer neuen Mitgliederkampagne mehr Menschen "aus den Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Kulturszene" ansprechen will. Mit entwickelt hat diese Kampagne die Strategieberaterin Liza Pflaum (33), die für sich selbst jetzt auch den Punkt gekommen sah, in die Linke einzutreten. "Allein aus meinem Bekanntenkreis haben sich in den vergangenen Tagen über 70 Menschen entschieden, in die Partei einzutreten", sagte Pflaum der "Berliner Morgenpost"
Beim Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) gab die Sozialarbeiterin und Buchautorin Cansin Körktürk (30) bekannt, dass sie bei den Grünen aus- und in die Linke eintritt. Sie schreibt: "Ich gehöre keiner Partei mehr an, die einer menschenverachtenden Asylreform zustimmt und Lützerath mitträgt. Ich gehöre ab nun einer Partei an, die bei der Menschenwürde keine Kompromisse macht. Ich habe meine Mitgliedschaft bei den Grünen beendet und trete bei den Linken ein."
Insgesamt spricht die Linke von rund 500 Neueintritten, seit Wagenknecht gemeinsam mit neun weiteren Mitgliedern der Bundestagsfraktion Ende Oktober aus der Partei ausgetreten ist. Danach hatte die 28-köpfige Restfraktion zum 6. Dezember ihre Auflösung beschlossen, weil für den Fraktionsstatus mindestens 37 Abgeordnete nötig sind.
"Wir werden auch als Gruppe weiter soziale Politik im Bundestag machen", kündigte Wissler an, die jetzt "froh" ist, sich mit der Partei nicht mehr für Vorschläge von Wagenknecht rechtfertigen zu müssen, wie zuletzt etwa die Aussage, dass das Bürgergeld ein "falscher Ansatz" ist.
Nicht nur beim Design, sondern auch beim Thema Meinungsumfragen will die Linke sich zum Parteitag nicht lumpen lassen und Optimismus verbreiten. Während bisher dem Wagenknechtbündnis "BSW", recht hohe Umfragewerte bescheinigt wurden, kontert jetzt die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung mit einer Erhebung, die durch das Institut Kantar vom 9. bis 15. November mit über 1000 Personen durchgeführt wurde.
Demnach liegt das Wählerpotenzial der Linken derzeit bei 15 Prozent, und es gibt nur wenig Überschneidungen mit der Wagenknechtpartei. So können sich nur 13 Prozent der Befragten mit einer klaren Präferenz für die Linke vorstellen, eventuell ihre Stimme auch einer von Wagenknecht geführten Partei zu geben. Dagegen könnten sich aber 29 Prozent mit einer Präferenz für die AfD und 21 Prozent mit einer Präferenz für die FDP vorstellen, "BSW" zu wählen. Gestützt auf diesen Potenzialwert, der aussagt, dass sich 15 Prozent der Wähler vorstellen könnten, ihre Stimme der Linken zu geben, ging die Partei dann am Freitagnachmittag in Augsburg in die Generalaussprache, die bei allem Erneuerungswillen zumindest im Hintergrund nicht konfliktfrei verläuft.
So stößt beispielsweise ein Vorstoß von Rackete, dass sich die Partei stärker von ihrer DDR-Vergangenheit abwenden müsse, beim langjährigen Fraktionschef Dietmar Bartsch (65) auf klare Ablehnung: "Unsere ostdeutsche Herkunft ist ein großes Plus, und wir müssen in besonderer Weise die Interessen der Ostdeutschen vertreten. Das haben wir in den letzten Jahren vernachlässigt", sagte Bartsch am Rande des Parteitags. Rackete hatte gegenüber "Zeit Online" gesagt: "Der Linken würde es helfen, sich noch mal konsequent von ihrer SED-Vergangenheit zu distanzieren und das wirklich aufzuarbeiten".
Auf das Ost-West-Verhältnis in der Partei ging dann auch Schirdewann in seiner Grundsatzrede ein und würdigte die Leistungen älterer beziehungsweise schon verstorbener Genossinnen und Genossen wie Gregor Gysi, Lothar Bisky, Petra Pau oder Dietmar Bartsch, die sich "schon in den 90er Jahren den Hintern für die PDS aufgerissen und die Partei durch existenzielle Krisen gesteuert haben".
Heute sei es Aufgabe aller Mitglieder der Linken, "gemeinsam die Partei aus der Krise zu führen". Solidarität in der Partei heute müsse verschiedene politische Generationen, Erfahrungen und Perspektiven einschließen. Und das bedeute ganz selbstverständlich auch, dass Ost und West zusammenarbeiten, so Schirdewan.
Der Parteichef ging hart mit der Politik der Bundesregierung ins Gericht und kritisierte einen "obszönen Reichtum" in Deutschland, dem drei Millionen Kinder gegenüberstünden, die in Armut aufwachsen, weil die Ampel es nicht hinbekomme, "eine Kindergrundsicherung aufs Gleis zu bringen, die wirklich Kinderarmut bekämpft". Auch wenn in Deutschland inzwischen alle nach rechts marschieren würden, bleibe die Linke links und die Partei der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität, betonte Schirdewan.