Eine erste Bewertung der aktuellen Reformanstrengungen der Ukraine wird die EU-Kommission nach den Angaben von der Leyens bereits im Juni mündlich an den Rat der Mitgliedstaaten übermitteln. Im Oktober soll es dann einen schriftlichen Bericht geben, auf Grundlage dessen dann eine Entscheidung über den Start von Beitrittsverhandlungen getroffen werden soll. Die Ukraine ist seit vergangenem Sommer bereits Beitrittskandidat. Über Verhandlungen müssen die 27 EU-Staaten einstimmig entscheiden.
Von der Leyen war am Dienstag nach Kiew gereist, um dort gemeinsam mit Präsident Selenskyj den Europatag zu feiern. Zudem gab es Gespräche zu den Munitionslieferungen der EU für den Abwehrkrieg gegen Russland sowie zur weiteren finanziellen Unterstützung. "Die Ukraine gehört zu unserer europäischen Familie", sagte von der Leyen. Dass sie am Europatag in Kiew sei, sei ein Symbol, es zeige aber auch, dass die EU bereits jetzt in vielen Bereichen mit der Ukraine Hand in Hand zusammenarbeite.
Selenskyj hatte erst am Vortag ein Dekret unterzeichnet, dem zufolge in Zukunft auch in der Ukraine der Europatag begangen werden soll. Dieser markiert den Jahrestag der sogenannten Schuman-Erklärung. Sie wurde am 9. Mai 1950 von dem damaligen französischen Außenminister Robert Schuman vorgeschlagen, um einen neuen Krieg zwischen den Nationen Europas undenkbar zu machen. Schumans Vorschlag gilt als Geburtsstunde dessen, was heute Europäische Union genannt wird. Von der Leyen besuchte die ukrainische Hauptstadt bereits zum fünften Mal seit dem Beginn der russischen Invasion vor gut 14 Monaten. Die vorherige Reise nach Kiew hatte sie Anfang Februar absolviert.
Selenskyj hat beim Besuch von der Leyens die "protektionistischen Maßnahmen der Nachbarn" beklagt. "Jegliche Beschränkungen unseres Exports sind jetzt absolut unzulässig", sagte er am Dienstag während einer gemeinsamen Pressekonferenz. Das nütze nur dem Aggressor Russland. Er sei, "gelinde gesagt, enttäuscht". Der 45-Jährige mahnte an, dass Handelsbeschränkungen nur nach Beratung mit Kiew verhängt werden sollten. "Wir erwarten von der EU starke europäische Beschlüsse und so schnell wie möglich eine Aufhebung aller Beschränkungen", sagte Selenskyj. Bei den Gesprächen mit von der Leyen habe er den politischen Willen zur Beseitigung dieser Probleme gespürt.
Im April haben die an die Ukraine grenzenden EU-Staaten den Import einer Reihe von ukrainischen Agrarprodukten blockiert. Seit Anfang Mai gilt ein Importverbot für ukrainisches Getreide in fünf EU-Staaten. Dieses soll Anfang Juni auslaufen. Bauern in Polen, der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien hatten nach der Aufhebung von Importzöllen über massive ukrainische Konkurrenz geklagt. Aus der Ukraine ist der gewohnte Export über die Schwarzmeerhäfen aufgrund des von Russland vor über 14 Monaten gestarteten Krieges eingeschränkt.
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