Zur Reiseroute gab es zunächst keine Angaben. In der Regel fliegen nach Kiew reisende Spitzenpolitiker zunächst nach Rzeszow im Südosten von Polen. Von dort geht es meist nach Przemysl. Der dortige Bahnhof hat ein Gleis in russischer Breitspur, die auch in der Ukraine gebräuchlich ist. Von Przemysl fahren deshalb Züge direkt nach Kiew. Flüge in die Ukraine gelten wegen der Gefahren durch den russischen Angriffskrieg gegen das Land weiter als zu gefährlich. Vermutlich direkt aus der Ukraine wird Stoltenberg dann zu einem Treffen der internationalen Kontaktgruppe zur Koordinierung von Militärhilfe für die Ukraine reisen. Dieses wird an diesem Freitag auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz organisiert. Zu dem Treffen in Deutschland wird auch der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow erwartet. Er könnte gemeinsam mit Stoltenberg nach Ramstein reisen.
Stoltenberg gilt seit Beginn des russischen Angriffskrieges als unermüdlicher Unterstützer der Ukraine und wirbt kontinuierlich für neue Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräfte. Bei einem Gipfeltreffen der östlichen Bündnisstaaten in Warschau hatte sich der Norweger jüngst dafür ausgesprochen, Russland ein für alle Mal seine Grenzen aufzuzeigen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Russland weiter die europäische Sicherheit untergräbt", sagte der Norweger damals. Man müsse den "Kreislauf der russischen Aggression durchbrechen" und dafür sorgen, "dass sich die Geschichte nicht wiederholt". Stoltenberg gehört auch zu denjenigen Politikern, die sich immer wieder aufgeschlossen für eine deutlich größere Unterstützung der Ukraine mit westlichen Waffensystemen gezeigt haben. Auf die Frage, ob Alliierte im Zweifelsfall eher Fähigkeitsziele des Bündnisses erfüllen sollten, als der Ukraine noch mehr Ausrüstung zu liefern, machte er so im vergangenen Jahr deutlich, dass er eine Niederlage der Ukraine für gefährlicher hält als nach Plan gefüllte Waffenlager in Nato-Staaten.
Zuletzt lud Stoltenberg den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auch zum kommenden Nato-Gipfel in Litauen ein. "Wir freuen uns darauf, Präsident Selenskyj bei unserem Gipfel in Vilnius im Juli zu treffen", kündigte er Anfang April bei einem zweitägigen Nato-Außenministertreffen in Brüssel an. Der Nato-Gipfel wird am 11. und 12. Juli in Litauens Hauptstadt organisiert. Unklar blieb zunächst, ob der Präsident des von Russland angegriffenen Landes tatsächlich kommen wird. Ebenfalls bei dem Außenministertreffen kündigte Stoltenberg Anfang April auch ein neues Unterstützungsprogramm für den Weg zur geplanten Nato-Mitgliedschaft an. Die auf mehrere Jahre angelegte Initiative soll dem Land die Anpassung an Bündnisstandards erleichtern und eine nahtlose Zusammenarbeit mit der Nato ermöglichen.
Eine genaue zeitliche Perspektive für den Beitritt der Ukraine gibt es bislang allerdings nicht. Stoltenberg verwies bei der Ankündigung des neuen Programms lediglich darauf, dass es gemeinsame Position der Nato sei, dass die Ukraine Mitglied werde. Er spielte damit auf eine Gipfelerklärung aus dem Jahr 2008 ab. In ihr heißt es mit Blick auf die Ukraine und Georgien: "Wir haben heute vereinbart, dass diese Länder Mitglieder der Nato werden." Einen Beitritt der Ukraine in Kriegszeiten schloss Stoltenberg aber indirekt aus. So verwies er darauf, dass es eine Voraussetzung für die Nato-Mitgliedschaft sei, dass die Ukraine den Krieg als demokratische unabhängige Nation überstehe.
Das letzte Mal vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine war Stoltenberg am 31. Oktober 2019 in Kiew gewesen. Er hatte damals gemeinsam mit Selenskyj eine Tagung der Nato-Ukraine-Kommission organisiert. Sie ist ein wichtiges Gremium für die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen dem größten Militärbündnis der Welt und der Ukraine.
Russland angesichts von Stoltenbergs Besuch sein Kriegsziel bekräftigt, eine Aufnahme des Nachbarlandes in das Militärbündnis zu verhindern. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte der Agentur Interfax zufolge am Donnerstag, dass Russland sich durch eine mögliche Nato-Mitgliedschaft der Ukraine bedroht sehe. "Weil das andernfalls eine ernste, bedeutende Gefahr für unser Land, für seine Sicherheit mit sich bringt", sagte Peskow.
Russland hatte zu Beginn des Krieges vor fast 14 Monaten am 24. Februar 2022 auch erklärt, die Ukraine entmilitarisieren zu wollen. Der Westen versorgt das Land für seinen Verteidigungskampf gegen die russische Invasion mit Waffen und Munition. Russland hatte den Nato-Staaten vorgeworfen, sich immer tiefer in den Krieg hineinziehen zu lassen. Die russische Führung stellt den Krieg längst auch als einen globalen Konflikt mit dem Westen insgesamt dar - und versucht so, Männer für den Fronteinsatz zu gewinnen.
Kremlsprecher Peskow äußerte sich auch zu neuerlichen Behauptungen aus Kiew, dass Präsident Wladimir Putin einen Doppelgänger benutze. Das seien "ziemlich seltsame" Äußerungen. Konkret ging es diesmal um einen Frontbesuch Putins in den besetzten Gebieten Cherson und Luhansk in den vergangenen Tagen. "Das war nicht der echte Putin", behauptete am Mittwoch der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine, Olexij Danilow. Der in Cherson gesichtete Putin sei "ein gewöhnliches Double gewesen, von denen es bekanntlich mehrere gibt". Es gibt allerdings keinerlei Belege dafür, dass es tatsächlich einen Doppelgänger Putins bei offiziellen Terminen gibt. Tatsächlich hatte Putin auch einmal gesagt, dass ihm aus Sicherheitsgründen in der Vergangenheit die Nutzung eines Doubles bei offiziellen Terminen ans Herz gelegt worden sei. "Die Idee kam auf, aber ich habe auf Doppelgänger verzichtet", sagte er.
Der Kreml wies auch im Januar die von Kiew geäußerten Zweifel an der Existenz Putins zurück. Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sei das Dasein Putins und Russlands insgesamt ein psychologisches Problem, meinte Peskow damals. Je eher Kiew erkenne, dass sowohl Russland als auch Putin auch in Zukunft bleiben würden, desto besser sei das für die Ukraine.
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