Erstmals seit dem Klimaabkommen von Paris im Jahr 2015 mit dem Beschluss, die durch den Treibhauseffekt entstehende Erderhitzung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, wird Bilanz gezogen. Sie fällt einigermaßen verheerend aus. Es ist wenig wahrscheinlich, dass das Ziel noch erreicht wird. Und schon die heutige weltweite Erwärmung um rund 1,1 Grad ist schmerzlich zu spüren: in Afrika mit Dürren und Überschwemmungen, in Pakistan mit Überflutungen großer Landesteile, in den USA mit Stürmen – und auch in Deutschland mit zunehmenden Hitzeperioden.
Scholz, der wegen der Haushaltskrise der Ampelkoalition keine 24 Stunden in Dubai bleibt, sagt am Samstag: "Wo also stehen wir als Weltgemeinschaft? Noch ist es möglich, dass wir die Emissionen in dieser Dekade so weit senken, dass wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Aber die Wissenschaft sagt uns ganz klar: Wir müssen uns dafür sehr beeilen. Aller geopolitischen Spannungen zum Trotz." Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen allerdings: Auch wenn das Ziel noch erreicht wird, sei eine Katastrophe bereits kaum noch abzuwenden: die Eisschmelze. Die jetzigen Generationen würden vielleicht noch nicht erleben, wie New York, London, Hamburg und Dubai im Wasser versinken. Aber die Nachwelt werde damit konfrontiert sein.
Scholz sagt in seiner Rede, der Klimawandel bleibe die große, weltumspannende Herausforderung der Gegenwart. Er will Zuversicht verbreiten: "Wir haben alle nötigen Mittel, um diesen Herausforderungen zu begegnen: Die Technologien sind da: Windkraft, Fotovoltaik, elektrische Antriebe, grüner Wasserstoff." 2022 seien so viele Gigawatt erneuerbare Energien ans Netz gegangen wie noch nie. 1,3 Billionen Dollar seien weltweit in saubere Energien und Technologien investiert worden – so viel Geld für den Klimaschutz wie noch nie. Deutschland habe den Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung von 45 Prozent im Jahr 2020 auf fast 60 Prozent heute gesteigert. Seine Regierung wolle zu mehr Tempo beim Klimaschutz weltweit beitragen.
Die Wissenschaft und Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten fordern den Ausstieg aus den fossilen Energien Kohle, Öl und Gas. Scholz betont: "Wir müssen jetzt alle die feste Entschlossenheit an den Tag legen, aus den fossilen Energieträgern auszusteigen, zuallererst aus der Kohle. Dafür können wir bei dieser Klimakonferenz die Segel setzen." Das ist ein klares Bekenntnis. Aber die Realität macht immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Indien mit 1,4 Milliarden Menschen investiert erst einmal kräftig in die Kohleförderung. Deutschland hat wegen des Stopps russischer Gaslieferungen infolge des Angriffs auf die Ukraine Kohlekraftwerke wieder hochgefahren. Auch das ist Teil der Geopolitik.
Scholz macht drei Vorschläge. Erstens: Die Konferenz in Dubai solle sich auf zwei verbindliche Ziele einigen, nämlich Verdreifachung des Ausbaus erneuerbarer Energien und Verdoppelung der Energieeffizienz bis 2030. Gas werde als Brückentechnologie gebraucht, müsse aber so klimafreundlich wie möglich erzeugt und transportiert werden. Methanemissionen müssten reduziert werden.
Zum Zweiten empfiehlt er seinen in Dubai mit 36 Staaten installierten Klimaclub als ein Format, in dem gemeinsam Lösungen für den klimaneutralen Umbau der Industrie entwickelt werden. "Konkret, pragmatisch, Schritt für Schritt." Dem Klimaclub haben sich bisher allerdings noch nicht so wichtige Staaten wie Indien, Brasilien und China angeschlossen.
Drittens wirbt der Bundeskanzler für Solidarität und Verantwortung – bei der Finanzierung der Bewältigung der Klimaschäden. 100 Milliarden US-Dollar jährlich haben die Industriestaaten dafür versprochen – aber dieses Versprechen noch nicht eingelöst. Deutschland habe sein Ziel, mindestens 6 Milliarden Euro pro Jahr für die internationale Klimafinanzierung bereitzustellen, schon 2022 übertroffen, berichtet Scholz und appelliert, dass andere Staaten ihre Zusagen auch einhalten.
"Wir unterstützen damit die Wälder und den Schutz der Biodiversität, die Anpassung an Klimaveränderungen und die Minderung des CO₂-Ausstoßes – weltweit und besonders in den verwundbarsten Ländern. Das meinen wir mit Solidarität." Länder, deren Wohlstand in den letzten drei Dekaden enorm gewachsen sei und die heute großen Anteil an den weltweiten Emissionen hätten, trügen Verantwortung.
Scholz achtet darauf, dass die Haushaltsmisere in Deutschland kein Thema in Dubai wird. "Wir haben einen sehr großen Haushalt", antwortet er auf Fragen von Journalisten, wie die Bundesregierung Klimaschutz im nächsten Jahr angesichts des infolge des Verfassungsgerichtsurteils derzeit unsicheren Haushalts 2024 finanzieren wolle. Das soll als internationales Signal ausreichen.
Der Kanzler fliegt früher als geplant nach Berlin zurück. Er muss mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) beraten, wie die geschätzt fehlenden 17 Milliarden Euro für 2024 aufgetrieben werden können. Es geht um Einsparungen und die Frage, ob die Schuldenbremse noch einmal ausgesetzt wird.
Die diesjährige Weltklimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die bis zum 12. Dezember dauert, ist mit fast 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die bislang größte. Vor Ort sind laut UN-Klimasekretariat 97.372 Personen registriert, darunter rund 52.000 Delegierte der Staaten sowie Beobachterinnen und Beobachter und knapp 4000 Journalistinnen und Journalisten.
Erwartet werden neben vielen Vertreterinnen und Vertretern der Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen auch etliche Lobbyistinnen und Lobbyisten der fossilen Industrie und vieler anderer Organisationen. Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die Industrie und andere Interessengruppen kommen, um ihre vermeintlich grünen Ambitionen zu zeigen, wollen aber oft vor allem den Status quo schützen und die weitere Förderung und Nutzung fossiler Brennstoffe erreichen."