
Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Gestern entschuldigte sich Aiwanger erstmals öffentlich. In Bezug auf die Vorwürfe blieb er bei der bisherigen Darstellung - insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei.
"Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe", sagte Aiwanger. "Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit." Von einem möglichen Rücktritt war keine Rede. "In meinen Augen wird hier die Schoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht". Der "Süddeutschen Zeitung", die als erstes über Vorwürfe gegen ihn berichtet hatte, warf er vor, ihn politisch vernichten zu wollen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat seinem Vize einen Katalog mit 25 Fragen zum Thema zur schriftlichen Beantwortung im Zusammenhang mit den Vorwürfen vorgelegt. Aiwangers Sprecher sagte, diese würden nun "zeitnah" beantwortet.
Nachdem Aiwanger gestern tagsüber mehrere Termine abgesagt hatte, trat er am Abend wieder auf einer Kundgebung im oberbayerischen Aschau auf. Zur Flugblatt-Affäre und den weiteren Vorwürfen äußerte er sich dort nicht mehr. In seiner Rede warb er für die Politik der Freien Wähler, kritisierte vor allem die Grünen und erntete teils tosenden Beifall. Heute wollen sowohl Aiwanger als auch Söder seit längerem geplante Termine in Bayern wahrnehmen.
Die Kritik an Aiwanger reißt allerdings nicht ab. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Schuster, sagte der "Bild": "Die Entschuldigung von Hubert Aiwanger bei den Opfern und Hinterbliebenen der Schoah war ein guter, wenn auch längst überfälliger Schritt." Schuster sagte aber weiter: "Bedauerlicherweise verbindet er dies mit einer Klage über eine politische Motivation der Vorwürfe und lässt weiterhin den Willen zu offener Aufklärung vermissen."
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Klein, sagte: "Die Bemühungen in Schulen und Gedenkstätten, gerade jüngeren Menschen einen kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu vermitteln, werden durch das Verhalten von Herrn Aiwanger torpediert". Damit schade Aiwanger der Erinnerungskultur in Deutschland. "Ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Erbe des schlimmsten jemals von Deutschen begangenen Verbrechens wäre die proaktive und vollumfängliche Aufklärung der eigenen Rolle bei der Erstellung und Verteilung dieses judenfeindlichen Pamphlets."
"Ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Erbe des schlimmsten jemals von Deutschen begangenen Verbrechens wäre die proaktive und vollumfängliche Aufklärung der eigenen Rolle bei der Erstellung und Verteilung dieses judenfeindlichen Pamphlets", erklärte Klein. Augenscheinlich gehe es Aiwanger aber hauptsächlich darum, den Vorwurf abzuwehren, als Schüler Judenhass verbreitet zu haben. "Seine mittlerweile erfolgte Entschuldigung bei den Opfern des NS-Regimes erfolgte erst nach Tagen auf massiven Druck von außen", kritisierte der Antisemitismusbeauftragte.
"Das bisherige Vorgehen des Ministers, sich als Opfer einer gegen ihn gerichteten Kampagne zu stilisieren und sich möglichst spät, möglichst wenig und möglichst empathielos zu äußern, dient als schlechtes Vorbild der Politik für junge Menschen in Deutschland." Klein forderte deshalb, die Arbeit der NS-Gedenkstätten finanziell und institutionell zu stärken. Gerade jetzt sei deren Arbeit wichtig.
In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Nach allen jüngsten Umfragen können CSU und Freie Wähler auch danach weiter regieren. Söder hatte am Dienstag gesagt, er wolle die Koalition fortsetzen. Koalitionen hingen aber "nicht an einer einzigen Person". Die Freien Wähler in Bayern stellten sich geschlossen hinter Aiwanger und beklagten eine "Schmutzkampagne".
dp/fa