
Barbarismus, Kriegsverbrecher, ethnische Säuberungen - der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein Kommunikationsbüro scheuen sich dieser Tage nicht vor Verbalattacken gegen Israel. Seit dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober mit mehr als 1400 Toten geht das israelische Militär massiv gegen Ziele der Terroristen im Gazastreifen vor. Israel habe sich "mit Gewalt das Land angeeignet, in dem das palästinensische Volk seit Tausenden von Jahren lebte", sagte Erdogan weiter. Der türkische Präsident warf Israel außerdem vor, mit dem Einsatz von Atomwaffen zu drohen. Ohne dies näher zu erklären, fügte er hinzu, Israel habe die "Illusion eines gelobten Landes". Dies sei aber ein "Wunschdenken".
Erdogan sagte, es sei "die Pflicht der Türkei" als Unterstützer eines unabhängigen palästinensischen Staates, die Gewalt sofort zu stoppen. Er sagte, Ankara arbeite "hinter den Kulissen" mit regionalen Verbündeten zusammen, um einen ununterbrochenen Strom humanitärer Hilfe nach Gaza sicherzustellen. Doch er hat den Kontakt zum israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu abgebrochen und aus Protest den Botschafter Ankaras in Israel zurückgerufen.
Erdogan warf dem Westen außerdem Doppelmoral und den Verlust seiner moralischen Autorität vor. "Diejenigen, die Krokodilstränen für die im Ukraine-Russland-Krieg getöteten Zivilisten vergossen haben, sehen jetzt stillschweigend der Tötung Tausender unschuldiger Kinder zu."
"Wenn die Hamas Israel bekämpfen will, wendet sie sich an den Iran. Wenn sie Frieden wollen, wenden sie sich an Ägypten. Wenn es finanzielle Mittel benötigt, wendet es sich an Katar", sagt der Experte Salim Cevik. Die Türkei habe kaum Bedeutung. Die scharfen Töne Erdogans könnten auch ein Ausdruck von Frust über diesen Ausschluss sein. "Daher sucht er eine andere Position, indem er sich als Beschützer der sunnitischen Muslime präsentiert", sagt Cevik.
Erdogan braucht die internationale Bühne. Sein Erfolg bei Wählern baut seit jeher auf sein Image als international mächtiger und gefragter Politiker. Hinzu kommt, dass der türkische Staatschef mit seiner Kritik auch eine propalästinensische Tendenz in der Bevölkerung bedient. Erdogan befürchte, einen Teil seiner Basis an andere konservative Parteien zu verlieren, die allesamt schärfste Töne gegen Israel anschlagen, sagt Cevik.
Der Chef der mitregierenden ultranationalistischen MHP etwa fordert unverhohlen, türkische Soldaten nach Gaza zu schicken. Der islamistische Partner, die Partei Hüda Par, fordert die Schließung des etwa von der US Air Force genutzten Luftwaffenstützpunktes Incirlik in der Südtürkei. Erdogan verfügt seit den Wahlen dieses Jahres nur über eine dünne Mehrheit. Die gilt es vor dem Hintergrund der anstehenden Regionalwahlen im März 2024 zu wahren.