
"Alles im Griff", sagt ein Bahnbediensteter mit bordeauxroter Mütze, der offensichtlich nicht der Lokführergewerkschaft GDL angehört. Auch zur morgendlichen Rushhour sei es sehr ruhig gewesen, obwohl Frankfurt die Stadt mit den bundesweit meisten Pendlern ist. "Viele machen wahrscheinlich Homeoffice", mutmaßt der Mann von der Bahn.
Sein Unternehmen hatte empfohlen, wegen des 20-stündigen Warnstreiks der GDL am Donnerstag auf Zugfahrten zu verzichten, wenn‘s irgendwie möglich ist. Daran haben sich offenbar viele gehalten. Im Fernverkehr war die Deutsche Bahn (DB) mit einem Notfahrplan unterwegs: Lediglich rund 20 Prozent der eigentlich geplanten Verbindungen wurden bedient. Auch im Regionalverkehr ruckelte es vielfach. Aber am späten Vormittag teilte der Schienenkonzern mit, dass inzwischen fast überall "ein zumindest eingeschränktes Zugangebot" sichergestellt sei.
Zum gleichen Zeitpunkt marschierte GDL-Chef Claus Weselsky an der Spitze einer "Großdemo" von Beamtenbund und Lokführergewerkschaft durch die Innenstadt von Schwerin.
Weselsky zeigte sich mit der Mobilisierung in seiner Truppe zufrieden: "Die Beteiligung ist absolut klasse", sagte er der Deutschen Presseagentur. "Wir haben auch Fahrdienstleiter, die im Streik sind, wir haben das Zugpersonal komplett im Streik, wir sind absolut zufrieden, was die Beteiligung angeht." Fahrdienstleiter sind ein heikles Thema. Das Bahn-Management will mit der GDL nicht über die Bezahlung dieser Berufsgruppe diskutieren, da nur wenige Fahrdienstleiter bei den Lokführern organisiert sind.
Das ist aber beileibe nicht das einzige strittige Thema. Die Tarifauseinandersetzung ist schon in einer frühen Phase eskaliert. Kurz vor der zweiten Verhandlungsrunde, die am Donnerstag und Freitag stattfinden sollte, kündigte die GDL den Warnstreik an. Postwendend sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler die beiden Termine ab.
Der Knackpunkt: Weselsky will vor allem über Arbeitszeitverkürzung für Beschäftigte im Schichtdienst verhandeln: von 38 auf 35 Stunden pro Woche. Da die Schichten häufig länger als acht Stunden sind, würde dies den Einstieg in eine Vier-Tage-Woche bedeuten. Seiler will erst gar nicht darüber sprechen, weil das nicht finanzierbar sei und weil die zusätzlichen Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt nicht zu bekommen seien.
Es würden insgesamt 10.000 Beschäftigte mehr benötigt. Zugleich konnte die Bahn zuletzt allein bei den Lokführern rund 3700 offene Stellen nicht besetzen, wie neue Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigen.
Mit dem Warnstreik will die GDL dennoch erreichen, dass das Thema auf die Agenda der Tarifverhandlungen kommt. "Ich lasse mir nicht in die Schuhe schieben, dass wir eskalieren, wenn die andere Seite sagt: ‚Ich verhandele mit Ihnen nicht über die Wochenarbeitszeit und ich verhandele mit Ihnen nicht über Tarifverträge für Fahrdienstleiter‘", wütete Weselsky am Donnerstag im Radiosender WDR5.
Offen ist nun, wann sich die Tarifparteien wieder treffen. "Das haben wir noch zu bewerten, das ist noch offen", so der Anführer der Lokführer. Er fügte hinzu: "Ich kann nur darauf verweisen, dass wir Verhandlungen vereinbart haben." Die nächsten Termine sind der 23. und 24. November.
Bahn-Sprecher Achim Stauß appellierte derweil, künftig ohne Ausstand zu verhandeln: "Der heutige Streik ist verantwortungslos, das ist eine Zumutung für unsere Fahrgäste. Wir müssen am Verhandlungstisch zu Lösungen kommen, nicht durch Streiks."
Allerdings gibt es Anzeichen, dass ein zweiter Warnstreik längst geplant ist und demnächst folgen könnte. So kursiert auf der Online-Plattform X (früher: Twitter) eine Mitteilung der GDL in Köln, dass ab dem zweiten Warnstreik die Streikgeld-Pauschale von 50 auf 100 Euro pro Tag verdoppelt wird, was die Bereitschaft für einen weiteren Ausstand befeuern dürfte.
Für das Bahn-Management war am Donnerstag unterdessen etwas anders wichtig: "Unsere ganze Priorität liegt darauf, morgen, an diesem wichtigen Freitag, den Verkehr wieder in Gang zu bringen", sagte Stauß. Auch nach dem Ende des Warnstreiks (Donnerstag, 18 Uhr) gilt zunächst der Notfahrplan, damit die Züge am Freitagmorgen an den Bahnhöfen stehen, wo sie gebraucht werden. Freitags sind besonders viele Reisende unterwegs – natürlich auch für den Frankfurter Hauptbahnhof.