Im Gegenteil: Esken und Kühnert verbesserten ihre Ergebnisse der letzten Wahl vor zwei Jahren deutlich. Klingbeil wurde für eine kämpferische Rede gefeiert. Auch Scholz wurde mit langem Applaus empfangen - wenn auch ohne stehende Ovationen. Offene Kritik an seinem Regierungskurs gab es zunächst nicht. Mit Spannung wird nun erwartet, wie er am Samstag vor die Delegierten tritt. Nach der Klatsche des Bundesverfassungsgerichts wegen der Haushaltsführung der Bundesregierung ist der Kanzler angeschlagen.
Die Unzufriedenheit mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der Ampel-Koalition ist einer aktuellen Umfrage zufolge so groß wie nie zuvor in der zweijährigen Regierungszeit von SPD, Grünen und FDP. Dem Meinungsforschungsinstitut YouGov sagten 74 Prozent, Scholz mache sehr oder eher schlechte Arbeit.
Nur 20 Prozent finden seine Arbeit dagegen eher oder sehr gut. Mit der gesamten Ampel-Regierung zeigten sich 73 Prozent sehr oder eher unzufrieden und nur 22 Prozent sehr oder eher zufrieden. Das sind die jeweils schlechtesten Werte in der monatlich erhobenen Umfrage während der vergangenen zwei Jahre.
Die Vereidigung des Kanzlers und seiner Regierung im Bundestag hatte sich am Freitag zum zweiten Mal gejährt. Am Samstag redet Scholz vor den 600 Delegierten des SPD-Parteitags.
Der am Donnerstag veröffentlichte ARD-"Deutschlandtrend" war zu ähnlichen Ergebnissen gekommen wie YouGov: Nur 20 Prozent zeigten sich noch mit der Arbeit des Regierungschefs zufrieden. Nach Angaben der ARD war das der schlechteste Wert für einen Bundeskanzler oder eine -kanzlerin seit Beginn der Erhebung des "Deutschlandtrends" im Jahr 1997.
In der YouGov-Umfrage sagten 77 Prozent sie hätten wenig oder gar kein Vertrauen mehr in die Regierungsführung des Kanzlers. Selbst von den SPD-Wählern vertraten 60 Prozent diese Auffassung.
Die Meinungsforscher fragten auch danach, welchen von zwölf Spitzenpolitikern und -politikerinnen aller im Bundestag vertreten Parteien sie am liebsten als Kanzler oder Kanzlerin hätten, wenn sie es sich aussuchen könnten. Nur 5 Prozent nannten Scholz als Wunschkanzler.
Am besten schnitt dagegen der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder ab, der von 15 Prozent der Befragten als Regierungschef favorisiert wurde. Dahinter folgen AfD-Fraktionschefin Alice Weidel mit 12 Prozent und Sarah Wagenknecht mit 8 Prozent. Schlechter als Scholz schnitten in der Umfrage nur FDP-Chef Christian Lindner (FDP), der thüringische AfD-Chef Björn Höcke (2 Prozent) und die Linken-Vorsitzende Janine Wissler (1 Prozent) ab. Für die Umfrage hat YouGov zwischen dem 1. und 6. Dezember 2119 Wahlberechtigte in Deutschland befragt.
Auf die noch laufenden Verhandlungen zur Schließung des 17-Milliarden-Lochs im Bundeshaushalt 2024 wird Scholz in seiner Rede kaum eingehen können. Sie sollen am Sonntag mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fortgesetzt werden. Die SPD-Spitze dringt auf erneutes Aussetzen der Schuldenbremse, wehrt sich gegen Sozialkürzungen und sympathisiert mit Steuererhöhungen, die aber für die FDP nicht in Frage kommen. Eine klare Positionierung des Kanzlers zu diesen Forderungen mitten in den Verhandlungen ist unwahrscheinlich.
Zweites schwieriges Thema für Scholz: die Migrationspolitik. In den vergangenen Wochen hatte der Regierungskurs für einigen Unmut am linken Flügel der SPD gesorgt. Er entzündete sich vor allem an einem Satz des Kanzlers in einem "Spiegel"-Interview: "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben." Die Führung der Jusos hatte das als Forderung "direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs" kritisiert.
Der inzwischen zum Vorsitzenden des Jugendverbands gewählte Philipp Türmer schrieb dazu: "Ich könnte kotzen bei diesem Zitat." Türmer wird auf die Scholz-Rede antworten. Auf dem Juso-Bundeskongress hatte er den Kanzler Mitte November scharf kritisiert. "Falls Dich in deiner Burg, in Deinem Berliner Kanzleramt noch irgendetwas erreicht, falls Du Dich noch daran erinnerst, für welche Partei Du angetreten bist, ändere Deinen Kurs", forderte er.