Er danke Gott dafür, dass er die Wahl, die am 14. Mai stattfinde, mit den Erstwählern als Weggefährten bestreiten werde, sagte Erdogan am Sonntagabend nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu bei einem Treffen mit jungen Wählern im westtürkischen Bursa. Bereits am Mittwoch hatte Erdogan den 14. Mai als Wahltermin ins Spiel gebracht. Die Wahlen gelten als Bewährungsprobe für Erdogan, der seit 20 Jahren an der Macht ist: 2003 wurde er zum Ministerpräsidenten gewählt, seit 2014 ist er Staatspräsident. Umfragen zufolge ist Erdogans Wiederwahl alles andere als sicher.
Erdogan ist nun seit zwei Jahrzehnten an der Macht, eine Zeit, in der er sich von der Wahrnehmung im Westen als pragmatischer Wirtschaftsreformer zu einem Autoritären entwickelt hat, der die türkischen Institutionen durch eine starke Herrschaft ersetzt hat, in deren Mittelpunkt er und seine engen Verbündeten stehen. Die Zeit könnte knapp werden, um zu verhindern, dass dieses Land mit 84 Millionen Einwohnern – und ein NATO-Verbündeter, den die westlichen Mächte verteidigen müssen – sich in eine permanente Ein-Mann-Show verwandelt.
Vorgezogene Wahlen können entweder mit 60 Prozent der Abgeordnetenstimmen im Parlament oder per Dekret durch den Präsidenten angeordnet werden. Im Parlament verfügt die regierende islamisch-konservative AKP Erdogans gemeinsam mit ihrem ultranationalistischen Partner MHP derzeit nur über eine einfache Mehrheit. Mit seiner Aussage machte Erdogan nun deutlich, dass er ein Vorziehen der Wahl im Alleingang anstrebt.
Damit dürfte Erdogan auch eine Diskussion um seine erneute Kandidatur weiter befeuern: Die Opposition argumentiert, Erdogan - der 2014 zum ersten Mal und 2018 zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt worden war - dürfe laut Verfassung nicht zum dritten Mal kandidieren. Eine dritte Kandidatur sei nur vorgesehen, wenn das Parlament vorzeitige Wahlen erzwinge. Nach Ansicht der Regierung steht der Kandidatur Erdogans aber nichts im Wege. Sie hält dagegen, Erdogan sei 2018 nach einer Verfassungsänderung als erster Präsident in einem neuen Präsidialsystem gewählt worden. Seine vorherige Amtszeit zähle also nicht. Auch Verfassungsrechtler sind in der Frage zerstritten.
Im Vorfeld der anstehenden Abstimmung wurde der als schärfster Herausforderer Erdogans geltende Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, von einem türkischen Gericht zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und mit einem Politikverbot belegt. Er wurde wegen Beleidigung von Amtsträgern verurteilt, basierend auf einer Bemerkung aus dem Jahr 2019, in der er in einer Pressemitteilung Wahlbeamte als "Dummköpfe" bezeichnete.
Die prokurdische Demokratische Volkspartei (HDP), deren populärer Führer Selahattin Demirtas seit 2016 im Gefängnis sitzt, sieht sich nun ernsthaften Drohungen türkischer Gerichte ausgesetzt, die darauf abzielen, den Zugang zu ihren eigenen Bankkonten zu sperren – ein Schritt, der als wahrscheinlicher Auftakt zum vollständigen Verbot der Partei gilt.
Trotz dieser Art autoritärer Maßnahmen werden Wahlen in der Türkei immer noch als frei, wenn auch nicht fair, und daher weithin als anfechtbar angesehen. Im Jahr 2019 verlor Erdogans Regierungspartei, die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, bei Kommunalwahlen im ganzen Land, einschließlich einer umstrittenen Abstimmung für Istanbul, bei der Imamoglu als Sieger hervorging.
Die Türkei hat in der Vergangenheit viele Perioden der Diktatur sowie eine autoritäre Herrschaft des Militärs erlebt, das interveniert hat, um Wahlen zu manipulieren, Staatsstreiche inszeniert und sogar Führer hingerichtet hat, die mit ihren Vorrechten in Konflikt geraten sind. Doch die Dysfunktion der türkischen Politik und Wirtschaft in den letzten Jahren scheint eine gefährliche neue Grenze widerzuspiegeln.
Die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, bekannt unter ihren türkischen Initialen AKP, hat eine beispiellose Aushöhlung staatlicher Kapazitäten angeführt. Tausende Staatsbedienstete wurden wegen unzureichender Loyalität gegenüber der herrschenden Regierung entweder entlassen oder ins Gefängnis gesteckt, insbesondere nach einem gescheiterten Putschversuch von 2016. Die Säuberungen haben ihren Tribut gefordert. Viele Institutionen in der Türkei funktionieren einfach nicht mehr, auch wenn staatlich kontrollierte Medien eine alternative Realität ständig wachsender politischer und wirtschaftlicher Stärke darstellen.
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