"Das Beste, was ich unter diesen Umständen tun kann, ist, meinen Ruhestand vorzuziehen." Bereits ab Mittwoch übernimmt die bisherige Finanzchefin Vanessa Hudson seine Rolle. Hudson wird damit die erste Konzernchefin in der 103-jährigen Geschichte der Fluggesellschaft. Hudson übernehme diese Rolle "inmitten einer schweren Krise", kommentierte die Direktorin des Global Institute for Women‘s Leadership, Michelle Ryan, auf dem Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) den Chefwechsel. Ryan hinterfragte, ob es sich dabei um "eine weitere gläserne Klippe" handele, "bei der Frauen das Chaos beseitigen müssen".
Das "Chaos" bei Qantas hat sich über Monate, wenn nicht sogar Jahre aufgebaut, doch vor allem die vergangene Woche wurde zum Albtraum für das Image der Fluglinie. So warf die australische Verbraucheraufsichtsbehörde ACCC Qantas vor, Tickets für "Geisterflüge" verkauft zu haben. Zwischen Mai und Juli letzten Jahres sollen Tickets für mehr als 8000 bereits stornierte Flüge verkauft worden sein. Am Donnerstag reichte die Behörde eine Klage vor Gericht ein, in der sie der Fluggesellschaft "falsches, irreführendes oder betrügerisches Verhalten" vorwarf. Die ACCC fordert eine Strafe von mehr als 250 Millionen australische Dollar, umgerechnet fast 150 Millionen Euro, für Qantas.
Zu Unmut führte auch, dass die Fluglinie das Ablaufdatum für Covid-Reisegutschriften gestrichen hatte – etwas, das die Firma inzwischen wieder rückgängig gemacht hat. Mindestens 470 Millionen Dollar (fast 280 Millionen Euro) an Gutschriften sind noch nicht eingelöst und sollten Ende dieses Jahres auslaufen. Außerdem wurden die Kriterien für die Mitgliedschaft in der sogenannten Chairman‘s Lounge der Fluggesellschaft unter die Lupe genommen. Zu dieser haben normalerweise nur CEOs, Prominente und Politiker Zutritt. Angeblich soll Joyce dort aber beispielsweise auch dem 23-jährigen Sohn des australischen Premierministers Anthony Albanese eine Mitgliedschaft gewährt haben. Viel Verbrauchervertrauen verlor die Fluglinie aber bereits im vergangenen Jahr. Damals summierten sich neben den stornierten auch die verspäteten Flüge. Lange Wartezeiten, verlorene Gepäckstücke und IT-Probleme waren an der Tagesordnung. Es mangelte an Personal, nachdem Joyce während der Pandemie Tausende Angestellte entlassen hatte. Joyce entschuldigte sich damals sogar per Video persönlich bei den Kunden.
Michael Kaine, Sekretär der für die Flugindustrie zuständigen Gewerkschaft Transport Workers Union, sagte am Dienstag in einer Erklärung, der Abschied von Alan Joyce sei "die erste gute Entscheidung, die der Qantas-Vorstand seit sehr langer Zeit getroffen hat". Kaine forderte zudem, die Boni im Wert von mehreren Millionen Dollar für Joyce zu streichen. Joyce gehe mit einem Gehalt von 24 Millionen Dollar (über 14 Millionen Euro) zwei Monate früher in den Ruhestand, kritisierte der Gewerkschaftssekretär. Dabei hinterlasse er "eines der größten Schlamassel in der Geschichte der australischen Unternehmen".
Der "Imageabsturz" der Fluglinie wiegt vor allem deswegen so schwer, weil Qantas lange Jahre als Vorzeigeunternehmen galt. In zahlreichen Rankings wurden die Australier als die sicherste Airline der Welt aufgeführt und sowohl die hohen Sicherheitsstandards wie auch der Innovationswille der Firma gelobt. "Qantas ist noch nie abgestürzt", sagte einst gar Dustin Hofman in seiner Rolle als Autist im Kinoklassiker "Rain Man". Ein Satz, der sich weltweit in die Gehirne von Flugreisenden gebrannt hatte und statistisch gesehen auch nach wie vor zutrifft.
Auch die Innovationsbilanz der Fluglinie fällt eigentlich positiv auf: 2019 flog Qantas als erste Fluglinie nonstop von New York nach Sydney. Für den 16.200-Kilometer-Rekordflug brauchte der Qantas-Flieger 19 Stunden und 16 Minuten. Gleichzeitig machte Qantas beim Thema Nachhaltigkeit Schlagzeilen: Anfang 2018 testete die Airline zum ersten Mal einen Flug mit Biotreibstoff von Los Angeles nach Melbourne. Diesen positiven Ruf wolle man wiedererlangen – versprach ein Firmensprecher dann auch. "Wir möchten, dass die Community weiß, dass wir ihre Enttäuschung hören und verstehen", zitierten lokale Medien den Sprecher. Sie wüssten, dass die Reparatur einige Zeit in Anspruch nehmen werde, seien aber "absolut entschlossen" dazu.
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