Hoffnungen, dass es 2023 ruhiger werden könnte, dürfte Scholz nicht allzu viele haben. Voraussagen, wie sich der Ukraine-Krieg und damit die Lage in Deutschland entwickeln werden, sind schwer zu treffen. Und auch vier Landtagswahlen könnten die Berliner Regierungspolitik beeinflussen.
Sollten sich die wirtschaftliche Lage verschlechtern, weitere Entlastungen nötig sein und der Streit über die Schuldenbremse neu aufflammen, dann könnte es ungemütlich werden in der Koalition. Immerhin hatten sich die Spitzen im November in lockerer Atmosphäre in der Kanzler-Wohnung in der Regierungszentrale geschworen, nach einem holprigen ersten Jahr künftig ein besseres Außenbild abgeben zu wollen. Wie lange das anhält, bleibt abzuwarten. Die Herausforderungen sind immens.
Drei Pakete hat die Regierung 2022 geschnürt, mit Einmalzahlungen, Steuererleichterungen und günstigen Bahntickets. Ab März werden zudem die Preise für Strom und Gas für private Haushalte sowie kleine und mittlere Firmen gedeckelt, für Januar und Februar ist eine rückwirkende Entlastung geplant. Für große Industrieverbraucher soll die Gaspreisbremse ab Januar greifen. Auch Verbraucher mit Öl- und Pelletheizungen sollen entlastet werden. Ob das ausreicht, um den Bürgern durch die hohe Inflation zu helfen, ist offen. Ein Schrumpfen der Wirtschaft ist nicht auszuschließen. Die vollen Gasspeicher könnten sich wieder leeren, die Preise somit weiter anziehen und die Lage noch kritischer werden.
Finanzminister Christian Lindner hat schon betont, dass er weitere Steuererleichterungen für nötig hält. Dabei hat der FDP-Chef aber eher Firmen im Blick. SPD und Grüne dagegen lassen durchblicken, dass sie notfalls auch für die Bürgerinnen und Bürger neue Hilfspakete schnüren wollen. Dennoch will Lindner die Schuldenbremse 2023 unbedingt einhalten. Eine große Unbekannte sind die steigenden Zinsen. Neue Entlastungspakete würden wohl einen Nachtragshaushalt erfordern - und der Bundestag müsste erneut eine Ausnahme von der Schuldenbremse erlauben.
Die für die Wärmeversorgung wichtigen deutschen Gasspeicher waren Ende November fast komplett gefüllt, die kalten Dezember-Tage haben den Füllstand zunächst deutlich sinken lassen. Zuletzt stieg er wieder leicht mit den milden Weihnachtstagen, lag aber noch erheblich unter der 90-Prozent-Marke. Die Betreiber der Gasspeicher setzen darauf, dass Deutschland "gut durch den Winter kommen" wird. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, mahnt dennoch, nicht leichtfertig zu werden.
Interessant wird es im nächsten Winter. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzt darauf, dass bis dahin mehrere Terminals zum Import von Flüssigerdgas (LNG) an den deutschen Küsten in Betrieb sind. Sie könnten künftig einen Großteil des Ausfalls von russischem Gas kompensieren. Ein erstes LNG-Terminal in Wilhelmshaven ist nun gestartet, kurz vor Weihnachten wurde hier erstes Gas in das Netz eingespeist.
Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke sollen bis zum 15. April weiterlaufen. Zudem gehen Kohlekraftwerke wieder ans Netz, um zusätzlich Strom zu erzeugen. Strom wird dennoch teurer, im Börsengroßhandel bestimmt die teure Stromerzeugung durch Gaskraftwerke oft den Strompreis für alle anderen Erzeugungsarten. Die Bundesregierung will mit den Preisbremsen für Gas und Strom gegenhalten, betont aber, diese könnten steigende Kosten nur dämpfen.
Ab Januar greift auch ein Öl-Embargo gegen Russland. Berlin sucht neue Lieferanten. Die PCK-Raffinerie in Schwedt im Nordosten Brandenburgs erhielt jüngst erstmals europäisches Rohöl über den Hafen im polnischen Danzig. Die Raffinerie verarbeitete bisher vor allem russisches Öl. Ob das Werk mit Alternativen künftig ausgelastet werden kann, ist aber unklar.
Die Ampel-Koalition war mit großem Klima-Ehrgeiz gestartet. Stand jetzt verfehlt Deutschland aber seine Klimaziele für das Jahr 2030 deutlich, urteilte der Expertenrat der Bundesregierung zuletzt. Die Bundesrepublik will ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 eigentlich um mindestens 65 Prozent senken im Vergleich zu 1990. Insbesondere im Verkehrsbereich klafft eine große Lücke. Diese wird sich mit dem geplanten Klimaschutz-Sofortprogramm nicht schließen. Die Regierung will daher beim Verkehr im Frühjahr nachbessern. Der Kohleausstieg im Rheinischen Revier soll um acht Jahre auf 2030 vorgezogen werden. In den ostdeutschen Revieren ist ein früherer Kohleausstieg noch offen.
Das Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien will Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) mit weniger Bürokratie und schnelleren Verfahren beschleunigen. Bei Solaranlagen und Windparks auf See geht es laut Expertenrat noch zu langsam voran, bei Windparks an Land sehe es besser aus. Immerhin bilanzierte Habeck an Weihnachten, dass der Ökostromausbau insgesamt vorangekommen und das "Tal der Tränen" durchschritten sei.
Wie 2022 haben auch im kommenden Jahr vier Landtagswahlen Potenzial, Unruhe in die Koalition zu bringen. Wegen zahlreicher Wahlpannen 2021 müssen in Berlin die Wahlberechtigten am 12. Februar erneut ihre Stimmen für Abgeordnetenhaus und Bezirksparlamente abgeben. Die Koalition aus SPD, Grünen und Linken kommt aktuell in Umfragen weiter auf eine Mehrheit. Nur könnten am Ende die Grünen die Nase vorn haben und Franziska Giffey von der SPD den Bürgermeisterposten streitig machen.
Gut drei Monate später - am 14. Mai - folgt Bremen, wo Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) gern wieder ins Rathaus einziehen würde. Derzeit führt er analog zur Hauptstadt ein rot-grün-rotes Bündnis.
Spannend wird es im Herbst in Hessen und Bayern. Für die Ampel-Koalition im Bund stellen diese Landtagswahlen eine Art Zwischenzeugnis zur Halbzeit der Legislaturperiode da. In Hessen regieren seit 2014 CDU und Grüne überwiegend konfliktfrei miteinander. Einer Umfrage vom Oktober zufolge könnte Schwarz-Grün weiterregieren. Sollte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser zur SPD-Spitzenkandidatur in Hessen entscheiden, müsste Kanzler Scholz sein Kabinett umbilden.
In Bayern ist der CSU-Traum, nach fünf Jahren Koalition mit den Freien Wählern wieder allein regieren zu können, derzeit in weiter Ferne. Um die 40 Prozent billigen die Wähler den Christsozialen von Parteichef und Ministerpräsident Markus Söder in Umfragen zu, um die 10 Prozent den Freien Wählern. Fast doppelt so stark sind die Grünen, allerdings hat Söder aufgehört, diese zu umgarnen.
Die Folgen der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin dürften auch 2023 die außenpolitische Agenda der Bundespolitik bestimmen. Deutschland übergibt zum Jahreswechsel die Präsidentschaft der G7-Runde der wirtschaftsstarken Demokratien an Japan. Auch bei dem von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) angekündigten stärkeren deutschen Engagement im indopazifischen Raum ist Tokio ein enger Verbündeter. Es geht darum, eine weitere weltweite Einflussnahme Pekings einzudämmen - auch in Afrika und in Zentralasien. Und auch darum, Zugang zu Energiequellen und wichtigen Rohstoffen für die Energiewende und die Digitalisierung zu gewinnen.
Bis zur Münchner Sicherheitskonferenz will die Regierung eine neue Nationale Sicherheitsstrategie verabschieden. Danach soll eine eigene Strategie zum Umgang mit China beschlossen werden. Abhängigkeiten von Peking sollen sich verringern, Menschenrechte eine größere Bedeutung bekommen und die Beziehungen zu Taiwan ausgebaut werden. Auch mit den USA gibt es schwierige Themen. So befürchtet Berlin durch das Inflationsbekämpfungsgesetz der Regierung von Präsident Joe Biden ein Abwandern europäischer Unternehmen in die USA.
Die Ampel-Koalition steht auch in anderen Bereichen vor großen Aufgaben. Die mit Scholz' "Zeitenwende"-Rede verkündete Modernisierung der Bundeswehr muss in Gang kommen - Mitte Dezember gab es aus dem Bundestag grünes Licht für milliardenschwere Projekte, darunter die Beschaffung des Tarnkappenjets F-35. Regeln zur Einwanderung sollen kommen, um dem Fachkräftemangel in vielen Bereichen zu begegnen. Eine Daueraufgabe bleibt der Kampf gegen den Rechtsextremismus und Umtriebe der "Reichsbürger"-Szene.
mit Material der dpa