1. Olaf Scholz
Zwei Charakterzüge zeichnen den Kanzler besonders aus: Stoik und Sturheit. Beide Eigenschaften sprechen dafür, dass Scholz alles daransetzen wird, die Koalition zusammenzuhalten. Zudem ist es der SPD-Politiker gewohnt, mit dem Rücken zur Wand zu agieren. Vor der Bundestagswahl 2021 liefen alle Wetten gegen ihn. Am Ende war er der überraschende Sieger. Kurz nach der Bundestagswahl hatte er ein sozialdemokratisches Jahrzehnt ausgerufen.
Heute kann man über diese Aussage nur noch leise hüsteln. Sein Scheitern ist offensichtlich. Scholz aber ist so gestrickt, dass er weiter an sich und seine Pläne glaubt. Er wird wohl erneut die Kontrahenten in seinem Kabinett, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner, in einen Kompromiss zwingen, der erst den Haushalt 2023 verfassungskonform macht und dann die Ausgaben für 2024 sichert.
2. Die FDP
Wenn der Vizechef der Liberalen, Wolfgang Kubicki, ins Team Vernunft wechselt, dann ist die Lage ernst. Zu den Umtrieben an der FDP-Basis, die in Teilen Neuwahlen fordert, sagt er: „Wir gewinnen keinen Wahlkampf mit dem Slogan: Wir sind gescheitert.“ Das ist so einfach wie einleuchtend. Der sich nun anbahnende Mitgliederentscheid über einen Verbleib in der Koalition wird zusätzlich für Unruhe in der angeschlagenen Ampel sorgen. Gewiss ist das nicht, aber es ist eher damit zu rechnen, dass sich die Mehrheit der FDP-Mitglieder auf die Seite von Kubicki schlägt und für einen Verbleib stimmt. Zumal die Gefahr real ist, dass die Liberalen im Fall von Neuwahlen die Fünf-Prozent-Hürde nicht schaffen. Auch Parteichef Christian Lindner wird an dieser Koalition festhalten, solange es geht. Er will nicht als gescheiterter Finanzminister in die Geschichte eingehen.
3. Die Grünen
Anders als die Liberalen wären die Grünen im Fall von Neuwahlen sicher wieder im nächsten Bundestag vertreten. Sie wären aber wahrscheinlich nicht mehr Teil der Regierung. Das wiederum würde für die Grünen und ihr Vorhaben einer klimafreundlichen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ein Scheitern auf ganzer Linie bedeuten: 16 Jahre Opposition, zwei Jahre Regierung und dann? Für ihre Anliegen ist es zielführender, sie bleiben in der Regierung und treiben voran, was sie noch schaffen können. Im Fall eines Platzens der Regierung drohen bei den Grünen zudem zersetzende innerparteiliche Machtkämpfe um die Neuaufstellung.
4. Die historische Erfahrung
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten die Erfahrung der Weimarer Republik noch in den Knochen, als sie die Regeln für Neuwahlen aufstellten. Um einen einmal gewählten Kanzler loszuwerden, braucht es entweder ein konstruktives Misstrauensvotum – es muss sich also eine Mehrheit für einen anderen Regierungschef finden. Das ist in diesem Bundestag aussichtslos. Oder der Kanzler stellt selbst die Vertrauensfrage, was Scholz kaum tun wird.
Im Fall einer verlorenen Vertrauensfrage kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen und den Weg für Neuwahlen frei machen, muss er aber nicht. Dass Frank-Walter Steinmeier in dieser Frage im Zweifel für Stabilität entscheidet, hat er 2017 bewiesen, als er nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen seine SPD in die große Koalition bugsierte. Die Stärke der AfD und der frische Sieg des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders dürften zudem dazu beitragen, dass die Ampelvertreter die Nerven behalten.
5. Die internationale Lage
Bei allem zersetzenden innenpolitischen Streit ist den Verantwortlichen in der Ampel selbstverständlich klar, was die Stunde außenpolitisch geschlagen hat. Wenn 2024 die Europawahl und die US-Wahlen ins Haus stehen, ist das Letzte, was die westlichen Verbündeten brauchen, ein Deutschland im Selbstfindungsmodus.
Zumal die Kriege in der Ukraine und in Nahost weitergehen werden, während sich Taiwan vor einem Überfall Chinas fürchtet und der Kosovo Angst hat vor einem imperialistischen Serbien. Wenn SPD, Grüne und Liberale ihre Worte ernst nehmen, dass in der Ukraine auch unsere Demokratie verteidigt wird, dann werden sie den eigenen Laden stabil halten müssen. Denn sonst können sie kaum noch einen Beitrag zur Verteidigung demokratischer Werte leisten – weder innen- noch außenpolitisch.