
Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby, sagte vorab, Biden wolle einerseits zu dem Erfolg des Friedensschlusses von 1998 gratulieren, der "nie da gewesenen Frieden und Wohlstand" gebracht habe. Andererseits wolle Biden die Möglichkeiten wirtschaftlicher Zusammenarbeit aufzeigen. Das Karfreitagsabkommen von 1998 beendete den jahrzehntelangen blutigen Konflikt zwischen mehrheitlich katholischen Befürwortern der Vereinigung beider Teile Irlands und den überwiegend protestantischen Anhängern der Union Nordirlands mit Großbritannien. Die USA hatten beim Zustandekommen des historischen Friedensschlusses eine wichtige Vermittlerrolle gespielt. Ex-Präsident Bill Clinton wird in der kommenden Woche zu Feierlichkeiten in Belfast erwartet.
Doch trotz allen Fortschritts hat die Region noch immer mit Spannungen zu kämpfen. In Belfast und Londonderry, das Katholiken nur Derry nennen, leben Katholiken und Protestanten noch immer in unterschiedlichen Stadtvierteln - getrennt durch meterhohe Mauern und Zäune, sogenannte "peace walls". Selbst Kindergärten und Schulen sind nach Konfessionen getrennt. Kurz vor dem Besuch von US-Präsident Joe Biden in Nordirland hat die Polizei in der Stadt Londonderry vier mutmaßliche Rohrbomben entdeckt. Die Sprengsätze wurden laut den Ermittlern am Dienstag auf einem Friedhof gefunden, der tags zuvor Schauplatz eines Aufmarsches einer katholisch-republikanischen Gruppierung war. Sie seien entschärft worden und würden nun untersucht, hieß es in der Mitteilung der Polizei weiter. Am Rande der nicht angemeldeten Kundgebung am Montag war es zu Ausschreitungen gekommen, bei denen ein Polizeiauto in Brand gesetzt wurde. Auch während der Durchsuchung des Friedhofs seien Steine, Flaschen und Molotow-Cocktails auf Polizeiautos geworfen worden, hieß es in der Mitteilung. Verletzt wurde ersten Erkenntnissen zufolge niemand. Die Stadt wird von katholischen Bewohnern nur Derry genannt.
Die Provinz leidet wegen des Streits über die Brexit-Regeln für Nordirland auch seit mehr als einem Jahr unter politischer Lähmung. Daran änderte auch die Ende Februar von London und Brüssel geschlossene Windsor-Vereinbarung zur Beilegung des Streits nichts. Die protestantisch-unionistische Partei DUP gibt sich stur und fordert weitere Zugeständnisse. Die beiden jeweils größten Parteien aus beiden konfessionellen Lagern müssen sich dem Karfreitagsabkommen zufolge auf eine Regierungsbildung in Nordirland einigen, sonst bleibt die Selbstverwaltung handlungsunfähig. Nicht einmal das Regionalparlament kann zusammentreten.
Kirby sagte an Bord der Präsidentenmaschine Air Force One, Biden setze sich dafür ein, dass die nordirischen Parlamentarier ihre Arbeit aufnähmen. Eine Einladung, seine Rede im Parlamentsgebäude Stormont zu halten, hatte der US-Präsident angesichts der nicht funktionierenden Institutionen jedoch abgelehnt. Dass der US-Präsident einen unmittelbaren Durchbruch bewirken kann, glaubt ohnehin kaum jemand. Immerhin: Neben einem Treffen mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak in Belfast sind dort auch Gespräche mit den Chefs der wichtigen Parteien in Nordirland geplant. Große Erwartungen gibt es allerdings hinsichtlich eines wirtschaftlichen Schubs für die Region durch den Biden-Besuch. Mit im Tross des US-Präsidenten reist der Sondergesandte für Wirtschaftsfragen in Nordirland, Joe Kennedy III, ein Großneffe des früheren Präsidenten John F. Kennedy.
Druck auf die DUP auszuüben, werde wohl keinen Zweck haben, sagte auch der frühere irische Premierminister Bertie Ahern gestern der BBC. Trotzdem könne Biden positiven Einfluss auf die nordirischen Politiker ausüben. "Was der amerikanische Präsident sagen kann, ist, dass er sich hinter weitere wirtschaftliche Investitionen stellt." Ähnlich sieht es auch die Politsoziologin Katy Hayward von der Queen's University in Belfast: Im Gespräch sagte sie, der Biden-Besuch sei vor allem ein wirtschaftlicher Segen für die Region. Nach seiner Visite in Belfast will Biden weiterreisen in die Republik Irland. Dort will er gleich mehrere Stops machen. Neben politischen Gesprächen in der irischen Hauptstadt Dublin plant der Demokrat Besuche an verschiedenen Orten im Land, aus denen Vorfahren von ihm stammen. Nach Angaben des Weißen Hauses wird Biden auf dem Trip von seinem Sohn Hunter und seiner Schwester Valerie begleitet.
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