Seine Gratulationsbotschaft ließ sich auch als Mahnung an den frisch vereidigten rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu lesen, dessen Koalition den Bau israelischer Siedlungen in Gebieten vorantreiben will, die von den Palästinensern für einen künftigen Staat beansprucht werden. Offene Kritik an Netanjahu, dessen Bündnis auch rechtsextreme Politiker und tiefreligiöse Kräfte umfasst, gab es am Donnerstag (Ortszeit) weder aus Washington noch aus Berlin oder Brüssel.
Biden ist als Gegner der israelischen Siedlungspolitik bekannt, welche die Regierung seines Vorgängers Donald Trump noch unterstützt hatte. In seiner schriftlichen Stellungnahme erklärte er nun zwar, seit Jahrzehnten mit Netanjahu befreundet zu sein und sich darauf zu freuen, "gemeinsam die zahlreichen Herausforderungen und Chancen anzugehen, denen sich Israel und die Region des Nahen Ostens gegenübersehen, einschließlich der Bedrohungen durch den Iran".
Doch im letzten Satz seiner Mitteilung ließ Biden eine politische Botschaft nachhallen, die er beim bis dato letzten Regierungswechsel in Israel im Juni 2021 offenbar nicht für erwähnenswert gehalten hatte: "Wie wir es während der Amtszeit meiner Regierung immer getan haben, werden die Vereinigten Staaten weiterhin die Zwei-Staaten-Lösung unterstützen und sich Politik entgegenstellen, die ihre Realisierbarkeit gefährdet oder unseren gemeinsamen Interessen und Werten zuwiderläuft."
Dass der mächtigste Verbündete Israels im Vergleich zur Trump-Ära auf Abstand gegangen ist, bewies auch US-Außenminister Antony Blinken. Er betonte, dass die Partnerschaft zwischen den USA und Israel auch darauf fuße, dass sich Israel zu "demokratischen Prinzipien" bekenne und zur "Vision eines friedlichen Miteinanders mit seinen Nachbarn". Anfang des Monats hatte er bereits vor der "Ausweitung von Siedlungen, Bestrebungen zur Annexion des Westjordanlandes, Beeinträchtigung des historischen Status quo der heiligen Stätten, Abrissen (von Häusern) und Zwangsräumungen sowie der Anstachelung zur Gewalt" gewarnt, ohne sich namentlich auf Netanjahu zu beziehen.
Knapp zwei Monate nach der Parlamentswahl in Israel - der fünften binnen dreieinhalb Jahren - war die neue Regierung am Donnerstag in Jerusalem vereidigt worden. Es ist die am weitesten rechts stehende Koalition, die Israel je hatte. Erstmals sind auch rechtsextreme Politiker im Kabinett vertreten. In den Leitlinien der Regierung ist unter anderem festgelegt, dass sie den Siedlungsausbau auch in Gebieten vorantreiben will, die die Palästinenser für einen künftigen Staat beanspruchen. Für Kritik sorgten ferner rassistische und homophobe Äußerungen von künftigen Koalitionsmitgliedern, außerdem befürchten Kritiker eine Politisierung der Justiz.
Bundeskanzler Olaf Scholz verzichtete in seiner Gratulationsbotschaft an Netanjahu auf kritische Worte und hob stattdessen die besondere und enge Freundschaft zu Israel hervor. "Für die anstehenden Aufgaben wünsche ich Ihnen gutes Gelingen, eine glückliche Hand und viel Erfolg", erklärte der SPD-Politiker am Donnerstag. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beglückwünschte Netanjahu per Twitter zum Amtsantritt und zeigte sich hoffnungsvoll, die Partnerschaft der EU mit Israel auszubauen und sowohl bei der Befriedung des Nahen Ostens als auch bei der Bewältigung der Folgen des Ukraine-Kriegs zusammenzuarbeiten.
Israel hat während des Sechs-Tage-Krieges 1967 unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Rund 600.000 Israelis leben dort heute in mehr als 200 Siedlungen. Der UN-Sicherheitsrat bezeichnete diese Siedlungen 2016 als Verletzung des internationalen Rechts. Er forderte Israel auf, alle Siedlungsaktivitäten zu stoppen. Die Palästinenser wollen im Westjordanland, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem einen eigenen Staat errichten.
dp/fa