
"Wir müssen uns auch fragen, wie wir mit dem möglichen Chaos umgehen, wenn Russland keine Führungsmacht mehr ist, etwa im zentralasiatischen Raum", so Major weiter. Schon jetzt seien die Folgen in Zentralasien, wo Russland eine hegemoniale Führungsmacht war, sichtbar. "Der Kreml wird dort nach den militärischen Niederlagen in der Ukraine als schwach wahrgenommen und erste Staaten wollen dies nutzen, um sich aus der Einflusssphäre Moskaus zu lösen." Beispiele seien die aufflammenden Konflikte zwischen Aserbaidschan und Armenien, Kirgisien und Tadschikistan sowie in Kasachstan.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat unterdessen Deutschland und die anderen Bündnisstaaten zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine aufgerufen. "Es mag paradox klingen, aber militärische Unterstützung für die Ukraine ist der schnellste Weg zum Frieden", sagte der Norweger. Hintergrund sei, dass Russlands Präsident Wladimir Putin davon überzeugt werden müsse, dass er sein Ziel, die Kontrolle über die Ukraine zu übernehmen, nicht erreichen werde. Dann könne es eine friedliche Verhandlungslösung geben, die ein Überleben der Ukraine als unabhängiger demokratischer Staat gewährleiste.
Stoltenberg machte dabei auch deutlich, dass er die jüngsten ukrainischen Angriffe auf militärische Ziele in Russland für vollkommen legitim hält. "Jedes Land hat das Recht, sich zu verteidigen. Auch die Ukraine", sagte er. Russland ist vor mehr als zehn Monaten in sein Nachbarland Ukraine einmarschiert.
Bei den ukrainischen Angriffen müsse auch der Kontext gesehen werden: Massive russische Angriffe auf zivile Infrastruktur, die darauf abzielen, ukrainischen Zivilisten im Winter Wasser, Heizung und Strom zu nehmen. "Präsident Putin versucht, aus dem Winter eine Waffe gegen Zivilisten zu machen. Das ist kein Angriff auf militärische Ziele mit zivilen Opfern. Das ist ein massiver Angriff auf Zivilisten, weil Millionen Ukrainer dieser grundlegenden Leistungen beraubt werden", sagte der Norweger.
Stoltenberg knüpfte mit den Äußerungen daran an, dass die Ukraine zuletzt unter anderem den russischen Militärflugplatz Engels ins Visier genommen hatte. Auf ihm sind strategische Bomber stationiert, mit deren Marschflugkörpern Russland die Energie-Infrastruktur der Ukraine zerstört. Bei mit Drohnen durchgeführten Angriffen wurden zuletzt am 26. Dezember auch drei russische Soldaten getötet.
Zur Frage, ob es aus seiner Sicht auch zu verantworten wäre, der Ukraine Mittelstreckenraketen zur Verfügung zu stellen, sagte Stoltenberg, zu spezifischen Systemen gebe es einen ständigen Dialog zwischen Verbündeten und mit der Ukraine. Zudem verwies er darauf, dass Nato-Verbündete der Ukraine bereits in der Vergangenheit Waffensysteme mit großer Reichweite geliefert hätten, so zum Beispiel Himars-Raketenwerfer, Artillerie mit großer Reichweite und Drohnen.
"Wir unterstützen die Ukraine beim Recht auf Selbstverteidigung", sagte Stoltenberg. "Das ist ein Recht, das in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist." Zur Diskussion um die Lieferung deutscher Kampfpanzer und Patriot-Systeme in die Ukraine, sagte Stoltenberg, es gebe zu diesen Fragen gute Konsultationen in der Nato und im US-geführten Ramstein-Format. "Natürlich fordere ich die Verbündeten auf, mehr zu tun", ergänzte er. "Es liegt in unser aller Sicherheitsinteresse, dafür zu sorgen, dass sich die Ukraine durchsetzt und Putin nicht gewinnt."
Zugleich mahnte Stoltenberg an, die Diskussion nicht auf zusätzliche Systeme zu verengen. "Es geht nicht nur darum, mehr Waffensysteme hinzuzufügen", sagte er. "Noch wichtiger ist vielleicht, dass es für alle bereits vorhandenen Systeme ausreichend Munition gibt. Der Bedarf an Munition und Ersatzteilen ist enorm."
Wichtige Unterstützung in Form von Waffen und Munition dürften die ukrainischen Streitkräfte auch weiterhin aus den USA erhalten. Am Donnerstagabend unterzeichnete US-Präsident Joe Biden das neue Haushaltsgesetz seiner Regierung, das unter anderem milliardenschwere Hilfen für die Ukraine vorsieht. Der zuvor von beiden Kongresskammern gebilligte Etat hat einem Volumen von 1,7 Billionen US-Dollar (1,6 Billionen Euro), wovon knapp 858 Milliarden Dollar auf Verteidigungsausgaben entfallen. Für die Unterstützung der Ukraine sind rund 45 Milliarden US-Dollar vorgesehen.
agenturen/pclmedia