
Es gibt in Deutschland und in der ganzen Welt viele Oktoberfeste – der Name ist nicht geschützt –, aber nur ein einziges richtiges, die Urmutter aller anderen: das Münchner. Dieses sprengt auch alle Dimensionen. Auf 42 Hektar (59 Fußballfelder) ist es das größte Volksfest der Welt. Pro Jahr kommen um die sechs Millionen Besucher und Besucherinnen, es gibt 120.000 Sitzplätze in den Zelten und den Außenbereichen. 2022 wurden 5,6 Millionen Maß Bier verkauft – eine mäßige Bilanz – und um die 800.000 halbe Hendl sowie 177 Ochsen verzehrt.
Obwohl die Wiesn viel mit singenden und tanzenden ausländischen Gästen verbunden wird, so ist sie doch mehrheitlich ein Fest der Münchner. 60 Prozent der Besucher stammen aus der Landeshauptstadt und 12 Prozent aus dem restlichen Bayern. 9 Prozent sind aus anderen Bundesländern vertreten. Die übrigen 19 Prozent sind meist aus Italien, den USA, England, Australien und Österreich angereist.
Was gibt es dieses Jahr an Neuem? Die Antwort ist ernüchternd, wie eigentlich fast jedes Jahr – nahezu nichts. Einzig ganz neu unter den Fahrgeschäften ist Mr. Gravity. In Zweier-Gondeln sitzen die Besucher und werden in Kreisen rauf und runter durch die Luft geschleudert. Bei den Zelten ändert sich nichts. Die Leih-E-Scooter wiederum sind erstmals speziell präpariert: Um das Gefährt in Gang zu bringen, muss auf der App ein Reaktionstest bestanden werden. Damit soll verhindert werden, dass Besucher volltrunken fahren.
Größeres Augenmerk wird dieses Jahr auf das Bräurosl-Zelt gerichtet. Der 2022 dort neue Wirt Peter Reichert war mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen Hygienevorschriften verstoßen sowie einen Mitarbeiter geschlagen zu haben. Auch die Musik hatte nicht gestimmt: Eine Kapelle spielte von morgens bis abends traditionelle Volksmusik, das Publikum forderte zum Feiern aber die bekannt Pop- und Rockkracher. Jetzt hat Reichert das Zelt sozusagen noch mal auf Bewährung bekommen.
Für einen Besuch des Oktoberfestes sollte man seine Bank nach dem Überziehungskredit fragen. Die Maß Bier kostet zwischen 12,60 und 14,90 Euro, meist werden 14,50 Euro verlangt. Das ist eine durchschnittliche Erhöhung von 6,12 Prozent. Mit 0,9 Litern Bier im Krug oder mehr gilt eine Maß rechtlich als "sauber eingschenkt". Beim Tafelwasser kostet der Liter im Schnitt 10,04, beim Spezi 11,65 Euro. Neu sind vier Zapfstellen für kostenloses Trinkwasser. Für ein konventionelles halbes Hendl muss man 14 bis 15 Euro berappen, in Bioqualität 20,50 Euro. Dazu braucht es aber mindestens noch einen Kartoffelsalat (um die 5 Euro).
Um überhaupt einen Tisch oder eine Box in einem Zelt zu bekommen, bedarf es gewisser Anstrengung. Schon im Frühjahr beginnen die Reservierungen. Jetzt erhält man für die Abende praktisch nichts mehr. Für die Belegung eines Zehnertisches müssen Verzehrgutscheine etwa für zwei Maß Bier und ein halbes Hendl pro Person gekauft werden. Vor allem mittags besteht aber die Pflicht, eine gewisse Anzahl an Plätzen für Gäste ohne Reservierungen frei zu halten.
Das Oktoberfest erscheint über die Jahre hinweg betrachtet als Wiederkehr des ewig Gleichen. München spielt München, wie es in der Realität nicht ist. Und die ganze Welt spielt mit. Der Freiburger Soziologe Sacha Szabo sagte dazu einmal: "Das vereinzelte Ich geht in einem rauschhaften Wir auf. Da alle Normen und Regeln des Alltags (…) außer Kraft gesetzt sind, wird hier ein Jenseits des Alltags geschaffen."
Leider geht die Wiesn auch immer wieder einher mit Belästigungen und Gewalt vor allem gegen Frauen. 2022 gab es drei angezeigte Vergewaltigungen und 55 sexuelle Übergriffe. Für Mädchen und Frauen, die sich bedroht fühlen oder bedroht werden, gibt es den Ort "Safe Space" hinter dem Schottenhamelzelt. "Sichere Wiesn" heißt die Aktion, Ehrenamtliche kümmern sich dort um Betroffene.
ag/pcl