
Scheinbar teilnahmslos nahm er das Blitzlichtgewitter zum Prozessauftakt auf der Anklagebank hin. Gil Ofarim will in der Verhandlung mit seinem Künstlernamen angesprochen werden, tritt im Sitzungssaal ernst, ruhig und ohne Allüren auf. Knappe Kontakte zu seiner Freundin, die in der ersten Reihe sitzt – ansonsten weitgehende Konzentration auf das Verfahren. Wenn wichtige Zeugen aussagen, sitzt er mit Brille und Stift da, macht sich aufmerksam Notizen. Selbst ausgesagt hat er bisher noch nicht. Seine silbern-glänzende Davidstern-Kette trägt er stets gut sichtbar um den Hals.
Ob Ofarims Kette an jenem Abend des 4. Oktober 2021 im Hotel sichtbar war, ist für die Anklage durchaus von Bedeutung. Schließlich hatte der Musiker in einem millionenfach angesehenen Handyvideo behauptet, dass ein Manager des Hotels ihn antisemitisch beleidigt habe, indem er ihn aufgefordert hätte, seine Kette mit dem Davidstern abzunehmen, um einchecken zu können. Die Staatsanwaltschaft hält das für gelogen und geht davon aus, dass Ofarims Davidstern im Hotel gar nicht zu sehen war.
Im Gegensatz dazu will zumindest ein Hotelgast das auffällige Schmuckstück bei dem Musiker gesehen haben. Vorruheständler Thomas S. (58) stand an jenem Abend hinter Ofarim in der Warteschlange am Check‑in. Da habe er die Kette mit dem auffälligen Anhänger gesehen. "In der Größe zwischen Fünf-Mark-Stück und Handteller."
Für die Verteidiger ist das jedoch nicht mehr maßgeblich. Viele Leute würden Ofarim nur mit seiner Kette mit dem Stern kennen, sagte Rechtsanwalt Alexander Stevens. "Er trägt diese immer – die einzige Frage ist, ob sie in der Lobby unter das Shirt gerutscht war oder nicht", so der Jurist. Doch das beweise nicht viel. Ein Hotelmanager wisse wohl, mit wem er es zu tun hat, wenn eine Gruppe von Künstlern über eine der großen deutschen Produktionsfirmen einchecke. "Muss er den Stern in dem Moment sehen, in welchem er eine abfällige Bemerkung macht?", fragte Stevens.
Vielleicht war es ja auch nur ein Missverständnis, so der Münchner Jurist, ein dummer Spruch. Keine judenfeindliche Anspielung, eindeutig auf den Davidstern gemünzt oder in dem Wissen darum, dass Gil Ofarim jüdischen Glaubens ist. Sondern eine mehrdeutige Bemerkung, das viel zitierte "Packen Sie Ihren Stern ein!" im Sinne von: "Mach dich nicht wichtig, tu nicht so, als wärst du ein echter Star." Sollte der Angeklagte also alles nur falsch verstanden haben und nicht, wie es die Staatsanwaltschaft annimmt, vorsätzlich gelogen und verleumdet haben? Auch das ist eine Argumentationslinie der Verteidigung, die zudem Parallelen zu #MeToo-Fällen bemühte.
Der massive juristische Schlagabtausch vor dem ursprünglichen Prozessstart 2022 ließ für das Verfahren eine Konfliktverteidigung erwarten. Doch die vier Anwälte Ofarims verzichten bisher auf eine Konfrontation mit dem Gericht und eine Zermürbungsstrategie mit unzähligen Anträgen. Lediglich einen sogenannten Besetzungseinwand erhoben sie vor dem ersten Verhandlungstag, da sich die Person des Vorsitzenden Richters während des laufenden Geschäftsjahres geändert hatte. Eine Entscheidung obliegt dem Oberlandesgericht Dresden.
Mit einem Antrag auf Vereidigung des Hauptbelastungszeugen scheiterten die Verteidiger, was aber den Fortgang der Verhandlung nicht lähmte. Und dass der Vorsitzende Richter Andreas Stadler – ein geborener Leipziger, der innerhalb der Justiz schon alles erlebt hat – den meisten Problemen mit feinem Humor begegnet, ist ganz sicher auch kein Nachteil.