"Unterdrückung und Tyrannei" werde es in Tunesien nicht geben, sagte der Generalsekretär des einflussreichen Gewerkschaftsverbands UGTT, Noureddine Taboubi. Die Gewerkschafter hatten zu dem Protest in der Hauptstadt Tunis aufgerufen. Sie haben sich zu einem der wichtigsten Gegenspieler des Präsidenten entwickelt. Mit den "Freiheiten des Polizeistaats" habe es ein Ende, riefen einige Demonstranten. Seit Februar sind in Tunesien dutzende Kritiker Saieds festgenommen worden, darunter Oppositionspolitiker, Richter, ein Journalist sowie ein Vertreter der UGTT. Ihnen werden etwa Korruption und "Verschwörung gegen die Staatssicherheit" vorgeworfen. Human Rights Watch (HRW) kritisierte dagegen, es gebe keine stichhaltigen Beweise für die Anschuldigungen.
Das Land wies kürzlich auch die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes ETUC, Esther Lynch, aus. Vor wenigen Tagen wurde zudem ein Mitglied einer spanischen Gewerkschaft die Einreise verweigert. Saied ist nicht gut auf Gewerkschafter zu sprechen. Sein Streit mit dem UGTT gilt auch als Hauptgrund dafür, dass das nordafrikanische Land bislang noch immer keine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erreicht hat. Tunesiens Führung hofft auf einen Milliarden-Kredit, um einen Staatsbankrott abwenden zu können. Die vom IWF im Gegenzug geforderten Reformen lehnt der UGTT jedoch ab, da sie für viele ohnehin unter der Wirtschaftskrise leidenden Tunesier wohl sehr schmerzhaft wären.
Der angeschlagene Präsident hat derweil einen neuen Sündenbock ausgemacht: Vor anderthalb Wochen warf Saied in einer Rede Migranten aus südlich der Sahara gelegenen afrikanischen Ländern vor, Gewalt und Kriminalität ins Land zu bringen. Es gebe eine "kriminelle Vereinbarung", Tunesiens demografische Zusammensetzung ändern zu wollen. Das Land drohe ein rein afrikanisches zu werden und seine muslimische und arabische Identität zu verlieren. Kritiker werfen Saied vor, mit dieser Hetze von anderen Problemen ablenken zu wollen.
Trotzdem nehmen seitdem Anfeindungen und rassistische Angriffe zu, Sicherheitskräfte haben Hunderte schwarze Menschen festgenommen, um zu kontrollieren, ob sie sich legal im Land aufhalten. Immer mehr Betroffene etwa aus Elfenbeinküste, dem Kongo oder Guinea fühlen sich nicht mehr sicher und wollen das Land verlassen. Es mehren sich zudem Berichte, dass Betroffenen Jobs und Wohnungen gekündigt werden. Die Afrikanische Union (AU) zeigte sich nach Saieds Rede "schockiert". In der Hauptstadt Tunis gingen am Samstag vor einer Woche mehrere Hundert Menschen auf die Straße, um gegen Rassismus zu protestieren. Tunesien sei ein afrikanisches Land, skandierten sie.
Tunesien gilt als wichtiges Transitland für Migranten auf dem Weg nach Europa. Allerdings stammt ein Großteil der Menschen, die derzeit mit Booten in Italien ankommen, aus Tunesien selbst. Sie hoffen angesichts der Perspektivlosigkeit in dem nordafrikanischen Land auf ein besseres Leben in Europa. "Ich bin enttäuscht, dass der Präsident nichts tut, um die Not der Menschen zu lindern", sagte eine Demonstrantin am Samstag. Kais Saied sichert sich immer mehr Macht im Land. Er löste dafür auch das Parlament auf und ließ eine neue, deutlich geschwächte Volksvertretung wählen. Der Staatschef führte außerdem eine umstrittene neue Verfassung ein, dank der er auch eigenmächtig Richter ernennen und entlassen darf.
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