Auf der offiziellen Tagesordnung der Kabinettsklausur am Sonntag und Montag ist von den Problemthemen zwar keine Spur. Da finden sich viel mehr Punkte wie "Wirtschaftliche Perspektiven Deutschlands und Europas in der Zeitenwende" mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder "Roadmap Energiewende 2030" und die Datenpolitik. Doch so eine Klausur mit Übernachtung im Gästehaus der Bundesregierung ist auch eine Gelegenheit, sich in Streitfragen zumindest anzunähern. Regierungssprecher Steffen Hebestreit formulierte das in der vergangenen Woche so: "Natürlich bietet sich am Rande dieser Zusammenkünfte in der Ruhe und in der Zeit, die man hat, auch die Möglichkeit, das ein oder andere Thema am Rande, bei dem es leichte Reibungen geben könnte, auch miteinander zu klären."
Klar ist: Meseberg ist eine Art Zwischenstation. Entscheidungen werden eher bei einem Koalitionsausschuss Ende März erwartet. Ein Grund für das gereizte Klima ist, dass FDP-Chef Christian Lindner am 15. März die Eckpunkte für den Etat des kommenden Jahres vorlegt. Wie üblich wollen seine Kabinettskollegen mehr Geld als der Finanzminister ihnen zugestehen will. Die Zusatzwünsche sollen sich auf 70 Milliarden Euro summieren. Steigende Zinsen, die wieder einzuhaltende Schuldenbremse und die Weigerung der FDP, die Einnahmen durch Steuererhöhungen aufzupolstern, schränken den Spielraum ein. Die Haushaltsberatung sei die "anspruchsvollste der letzten Jahre", sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast.
Klar ist eigentlich schon, dass der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mehr Geld bekommen soll. Die Grünen sorgen sich aber, dass für ihre sozialen und klimapolitischen Projekte nicht genügend übrigbleiben. Zuletzt machte ein teils süffisanter Briefwechsel von Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Runde.
Der Disput um die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung wird häufig mit dem Haushaltsstreit vermischt - dabei geht es hier eigentlich um Geld für 2025, also den Folge-Etat. Vereinbart haben SPD, Grüne und FDP, dass Leistungen vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis hin zur finanziellen Unterstützung für Klassenfahrten gebündelt werden und besser bei den Berechtigten ankommen sollen. Ob das auch eine milliardenschwere finanzielle Aufstockung bedeuten soll, ist zwischen Grünen und FDP umstritten.
Der Streit um die Öl- und Gasheizungen ist der wohl frischeste in der Koalition. Dabei hatten die Partner eigentlich bereits im vergangenen Jahr vereinbart, dass möglichst ab 2024 nur noch Heizungen neu eingebaut werden dürfen, die zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Details der Pläne machte das Wirtschaftsministerium jetzt öffentlich - und zog heftige Proteste der FDP auf sich. Die Liberalen fürchten, die Regelung für mehr Klimaschutz werde viele Hausbesitzer finanziell überfordern und Baukosten hochtreiben.
Auf Druck der Bundesregierung hat die EU ihre Abstimmung über das Aus für den Verbrennungsmotor für neuzugelassene Autos ab 2035 verschoben. Die FDP fordert von der EU-Kommission einen Vorschlag, wie klimaneutrale synthetische Kraftstoffe eingesetzt werden können. Die SPD ist genervt und wirft den Liberalen vor, den Verbrenner retten zu wollen, während die Industrie schon viel weiter sei. Mit E-Fuels seien die Klimaziele im Verkehr nicht zu erreichen.
Ob Autobahnen schneller gebaut werden sollen, ist ein Dauerstreit in der Koalition. Die FDP fordert das und verweist auf die Prognose, dass der Güterverkehr auf der Straße langfristig stark wächst. Die Grünen lehnen eine Beschleunigung ab und fordern mehr Engagement für die Klimaziele.
Zwischen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seiner Außenministerin Annalena Baerbock ruckelt es in Sachen Diplomatie. Vielen in der SPD gefällt nicht, dass die Grünen-Politikerin international oft Klartext spricht - während Scholz vieles lieber in Hinterzimmern regelt.
Als Baerbock beim Europarat zum Zusammenhalt der westlichen Verbündeten aufrief, sagte sie: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander." Scholz fühlte sich gezwungen, diese Aussage sofort einzufangen und klarzustellen: "Das ist ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine." Auch die deutsche Strategie zum Umgang mit China kommt kaum voran.
Im vergangenen Jahr, das kann man der Ampel zugestehen, war ihre Politik getrieben von akuter Krisenbewältigung. Wenige Tage vor der Klausurtagung aber gab Scholz eine Regierungserklärung im Bundestag ab, die nicht mehr hauptsächlich von Waffenlieferungen, Rezessionsangst, Rettungspaketen und Inflationssorgen geprägt war.
Für die Ampel-Regierung könnte eine neue Phase beginnen, in der es wieder mehr um die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag geht. Manche ihrer Mitglieder wünschen sich, dass damit auch eine Rückbesinnung auf den Anfang der Ampel einhergehen möge, als strittige Themen in erster Linie hinter den Kulissen ausgefochten wurden.
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