Russland akzeptiere wie Indien keine "neokolonialen Praktiken" von einseitigen Sanktionen, Drohungen und Erpressung sowie sonstigen Druck. Moskau wirft den USA und dem "kollektiven Westen" immer wieder vor, sich wie eine Kolonialmacht in der Welt aufzuführen. Der Auftritt Lawrows bei dem Treffen in Neu Delhi wird mit Spannung erwartet. Im vergangenen Juli hatte er beim G20-Außenministertreffen auf der indonesischen Ferieninsel Bali für einen Eklat gesorgt, als er direkt nach seiner Rede den Saal verließ.
Baerbock kritisierte, es seien "Russlands Raketen auf die unschuldigen Menschen in der Ukraine, die auch die Nahrungs- und Energiesicherheit vieler hundert Millionen Menschen weltweit treffen". Dass die große Mehrheit in der Generalversammlung der Vereinten Nationen den Krieg Russlands in der vergangenen Woche erneut beim Namen benannt habe, gebe Zuversicht. In der UN-Vollversammlung hatten 141 der 193 Mitgliedstaaten für eine Resolution zum ersten Jahrestag des russischen Einmarsches in der Ukraine gestimmt. Sie enthält die Forderung nach Frieden und dem Rückzug Moskaus. Unter anderem Indien und China hatten sich enthalten, Brasilien, die Türkei und Saudi-Arabien votierten dafür.
Am Mittwochabend stand laut offiziellem Programm nur ein Abendessen an - die Arbeitssitzungen waren für Donnerstag geplant. Bei einer ersten Sitzung soll es dann um Multilateralismus, Lebensmittel- und Energiesicherheit und Entwicklungszusammenarbeit gehen. Hier dürfte auch der russische Krieg in der Ukraine zur Sprache kommen. Am Donnerstagnachmittag stehen unter anderem die Themen Terrorismusbekämpfung und Katastrophenschutz auf der Tagesordnung. Vor Beginn der G20-Beratungen traf Lawrow auch seinen indischen Kollegen Subrahmanyam Jaishankar. Man habe über die Kooperation beider Länder und über G20-Angelegenheiten gesprochen, teilte Jaishankar auf Twitter mit.
Gastgeber Indien hat bei dem russischen Angriffskrieg eine neutrale Haltung und gute Beziehungen zu westlichen Ländern sowie zu Russland. Dass die Weltgemeinschaft alles andere als einig in Sachen Ukraine ist, zeigte kürzlich auch das G20-Finanzministertreffen im indischen Bengaluru, bei dem keine gemeinsame Abschlusserklärung zustande kam. Neben Russland wollte auch China einer Verurteilung des russischen Angriffskriegs nicht zustimmen. Offen blieb bis zuletzt, ob sich die G20-Außenminister auf ein gemeinsames Abschlusskommuniqué einigen.
In Neu Delhi werden auch der neue chinesische Außenminister Qin Gang und US-Außenminister Antony Blinken erwartet. Unklar war zunächst, ob Blinken und Qin nach den jüngsten Auseinandersetzungen über einen mutmaßlichen chinesischen Spionageballon über den USA auch zu einem bilateralen Treffen zusammenkommen. Bei den G20-Beratungen dürfte auch das im Westen mit viel Skepsis aufgenommene chinesische Positionspapier für ein Ende des von Russland begonnenen Krieges in der Ukraine eine Rolle spielen. Moskau hat das Papier begrüßt, sieht laut Kremlsprecher Dmitri Peskow aber derzeit keine Voraussetzung für eine friedliche Lösung.
Zu den G20 gehören die Europäische Union und die stärksten Volkswirtschaften aller Kontinente. Die Gruppe erwirtschaftet nach eigenen Angaben mehr als 80 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, 75 Prozent des weltweiten Handels und macht rund 60 Prozent der Weltbevölkerung aus.