Die heftigen Kämpfe um Bachmut in der Ostukraine zeigten, dass Russland bereit sei, "Tausende und Abertausende von Soldaten einzusetzen und für minimale Gewinne viele Opfer in Kauf zu nehmen". Infolgedessen müssten die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere westliche Staaten darauf vorbereitet sein, die Ukraine über einen langen Zeitraum mit Waffen, Munition und Ersatzteilen zu unterstützen. "Der Bedarf wird weiterhin bestehen, denn dies ist ein Zermürbungskrieg; es geht um die industrielle Kapazität, um die Unterstützung aufrechtzuerhalten." Stoltenberg sagte, mit der vom Westen bereitgestellten Ausrüstung würden die Ukrainer in die Lage versetzt, "Territorium zurückzuerobern und mehr und mehr Land zu befreien", das Russland nach der Invasion im Februar 2022 erobert hatte. Ziel sei es, "die Ukrainer in die Lage zu versetzen, eine Offensive zu starten und Territorium zurückzuerobern".
Gegenwärtig war der Kampf so intensiv, dass der Einsatz von Artilleriegranaten in der Ukraine – 4.000 bis 7.000 pro Tag gegenüber 20.000 in Russland – die westliche Produktion überholte. "Die aktuelle Rate der Munitionsausgaben ist höher als die aktuelle Produktionsrate", sagte Stoltenberg, obwohl neue Verträge bedeuteten, dass sich das änderte. Anfang dieser Woche einigten sich die EU-Mitglieder darauf, der Ukraine eine Million Schuss Granaten zu liefern, genug für etwa sechs Monate. Aber auf dem Weg zu seinem voraussichtlich letzten Gipfel sagte Stoltenberg, er wolle, dass die Nato-Mitglieder bereit seien, mehr auszugeben, um die russische Invasion rückgängig zu machen.
"Es ist schmerzhaft, die Städte im Donbass zu sehen, über die Russland schreckliches Leid und Ruinen gebracht hat", sagte der ukrainische Präsident WolodymyrSelenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Dort gebe es "stündliche Luftangriffssirenen, ständige Bedrohung durch Beschuss, eine ständige Bedrohung des Lebens". Doch trotz der schweren Zerstörungen und des Leids gebe es in diesen Gebieten Hoffnung. "Man kann sie spüren", sagte Selenskyj. "Wir werden alles tun, damit die blauen und gelben Farben ihre Befreiungsbewegung fortsetzen und das normale Leben in unser ganzes Land zurückkehren kann, von Donezk bis zur Grenze", sagte er weiter unter Anspielung auf die Farben der ukrainischen Flagge.
Zugleich kündigte Selenskyj eine Antwort Kiews auf die jüngsten Angriffe Russlands auf ukrainische Städte mit Kampfdrohnen an. "Wir werden definitiv auf jeden Angriff der Besatzer auf unsere Städte reagieren", sagte Selenskyj. "Auf alle russischen Angriffe werden wir militärisch, politisch und rechtlich reagieren." Bei russischen Angriffen in diversen Teilen der Ukraine wurden am Mittwoch nach Angaben aus Kiew mindestens 14 Menschen getötet. Der Pressedienst der ukrainischen Armee berichtete zudem von 24 Verletzten.
Selenskyj besuchte am Mittwoch die Großstadt Charkiw im Nordosten des Landes und überreichte Bürgermeister Ihor Terechow die Insignien einer "Helden-Stadt der Ukraine". Mit der Ehrung würdigte Selenskyj den Widerstand der Bewohner gegen russische Angriffe im Vorjahr. "Charkiw ist eine echte Helden-Stadt", sagte Selenskyj nach Angaben der Nachrichtenagentur Unian. "Dank der Bürger verteidigt diese schöne Stadt zusammen mit anderen Städten unsere Unabhängigkeit."
Charkiw hatte gewissermaßen als Wellenbrecher die russischen Angriffe im äußersten Osten der Ukraine in für beide Seiten verlustreichen Kämpfen gestoppt. Im Mai wurden die russischen Verbände bei einer ukrainischen Gegenoffensive aus der unmittelbaren Nähe der Stadt verdrängt. Während seines Besuchs verlieh Selenskyj eine Reihe von Orden an die Verteidiger der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Wenige Stunden zuvor hatte der ukrainische Staatschef in der Nähe der schwer umkämpften Stadt Bachmut Orden an die dortigen Verteidiger verteilt.
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