Es könnte das Ende einer Ära sein - oder aber Teil einer ausgeklügelten Strategie von Frankreichs rechtsnationalem Superstar Marine Le Pen: Erstmals in der 50-jährigen Geschichte des Rassemblement National (ehemals: Front National) steht kein Mitglied der Familie Le Pen an der Spitze der lange als rechtsextrem eingestuften Partei. Das Ruder hat am Samstag Jordan Bardella übernommen, Le Pens Sprössling und zuvor kommissarisch Spitzenmann des RN.
Der 27-jährige Bardella hatte unter Le Pens Führung in der Partei eine steile Karriere hingelegt, als zackiger Wortführer die stramm rechtsnationalen Themen belegt und Le Pen das Feld überlassen bei allem, was Sympathiepunkte außerhalb rechtsextremer Kreise bringt. Dass Le Pen nun selbst kürzer treten wird, heißt der Führungswechsel aber lange nicht.
Denn nach einem äußerst erfolgreichen Wahljahr, in dem sie zur größten Oppositionspartei in der Nationalversammlung angewachsen ist, will die Partei mehr. Es dürfte ihr um mehr Einfluss in den Regionen gehen und um den Élyséepalast - also konkret die Regionalwahlen 2026 und die Präsidentschaftswahl 2027.
Auch wenn die 54-jährige Le Pen für ihre Partei in diesem Jahr Rekordergebnisse einfuhr, steht noch nicht fest, ob die gelernte Juristin 2027 ihren vierten Anlauf auf das höchste Staatsamt nehmen wird. Im Anschluss an die diesjährigen Wahlen entschied sie sich statt für eine Rückkehr an die Parteispitze für den Vorsitz der enorm gewachsenen Fraktion im Unterhaus. "Sie denkt, dass sie für 2027 in der Nationalversammlung am nützlichsten ist, weil die fehlende Glaubwürdigkeit des RN nur durch die Qualität der legislativen Arbeit ausgeglichen werden kann", sagt Politikwissenschaftler Jean-Yves Camus.
Zwar ist für den Rechtsextremismus-Experten Camus auch denkbar, dass in fünf Jahren der neue RN-Chef in den Ring geschickt wird, doch ebenso könnte Le Pens Verzicht auf die Parteispitze Teil ihrer Strategie für 2027 sein. Bereits im vergangenen September gab sie den RN-Vorsitz vorübergehend an ihren bisherigen Vize und Schützling Bardella ab. Die Begründung: Sie wolle bei der Präsidentschaftswahl eine Kandidatin sein, die über parteipolitischen Gegensätzen stehe und alle Bürger anspreche. Möglich also, dass Le Pen genau diese Linie nun fortführen und damit weitere Wählerschichten gewinnen will.