Nach Wereschtschuks Angaben sind noch gut 6.000 Zivilisten in der Stadt. Der Militärgouverneur von Donezk, Pawlo Kyrylenko, hatte die Zahl Anfang der Woche nur noch auf knapp 5.000 beziffert. Die Behörden hatten damals den Zugang für Zivilisten weiter beschränkt, was zu Spekulationen führte, dass ein geordneter Rückzug vorbereitet werde. Viele ältere Menschen harren in Bachmut aus, weil ihre Wohnung oder ihr Haus ihren einzigen Besitz darstellen und sie ihren Geburtsort nicht verlassen wollen. Manche sympathisieren auch mit Russland.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor knapp einem Jahr sind nach Einschätzung britischer Geheimdienste auf russischer Seite bis zu 60.000 Soldaten oder Söldner getötet worden. Das Verteidigungsministerium in London sprach am Freitag in seinem täglichen Kurzbericht von wahrscheinlich zwischen 40.000 und 60.000 Toten. Die Gesamtzahl an Toten oder Verletzten auf russischer Seite wurde auf 175.000 bis 200.000 beziffert. Bei den Söldnern der Privatarmee Wagner liege die "Verlustquote" wahrscheinlich bei bis zu 50 Prozent.
Der Leiter der russischen Söldnertruppe Wagner sagte am Donnerstag, es könne Monate dauern, die umkämpfte ukrainische Stadt Bachmut zu erobern, und kritisierte Moskaus "monströse Bürokratie", weil sie militärische Fortschritte verlangsamte. Russland hat versucht, die angeschlagene Industriestadt vor dem 24. Februar, dem ersten Jahrestag seiner "militärischen Spezialoperation" in der Ukraine, einzukreisen und einzunehmen. "Ich denke, es wird im März oder im April sein", sagte Wagner-Chef Yevgeny Prigozhin in einer von mehreren online geposteten Nachrichten. "Um Bachmut einzunehmen, muss man alle Versorgungswege kappen. Es ist eine bedeutende Aufgabe", sagte er und fügte hinzu: "Die Fortschritte gehen nicht so schnell voran, wie wir es gerne hätten. "Bachmut wäre vor Neujahr genommen worden, wenn nicht unsere monströse Militärbürokratie gewesen wäre."
Vor der Münchner Sicherheitskonferenz hat Mykhailo Podolyak, ein politischer Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Kiews Position bekräftigt, dass Russland als Vorbedingung für Friedensgespräche aus der Ukraine abziehen muss. Podolyak twitterte: "Für die Entkriminalisierung der Weltpolitik und echte globale Sicherheit muss der Krieg mit dem Sieg der Ukraine enden. Die Verhandlungen können beginnen, wenn Russland seine Truppen aus dem Territorium der Ukraine abzieht. Andere Optionen geben Russland nur Zeit, die Streitkräfte neu zu gruppieren und die Feindseligkeiten jederzeit wieder aufzunehmen."
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner nächtlichen Videoansprache am Donnerstag, seine Priorität sei es derzeit, russische Angriffe abzuwehren und sich auf eine eventuelle ukrainische Gegenoffensive vorzubereiten. "Die Lage an der Front zu halten und sich auf feindliche Eskalationsschritte vorzubereiten – das ist die Priorität für die nahe Zukunft", sagte er. Selenskyj hat Verhandlungen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin ein weiteres Mal eine Absage erteilt. "Ein Kompromiss mit Putin? Nein, denn es gibt kein Vertrauen", sagte Selenskyj in einem am Freitag veröffentlichten Interview. Die Ukraine kämpfe ums Überleben und benötige Garantien für ihre Sicherheit. "Jegliche Gebietszugeständnisse würden unseren Staat nur schwächen." Selenskyj bat erneut um Waffen aus dem Westen. "Waffen sind die einzige Sprache, welche die Russische Föderation versteht."
dp/pcl