"Doch diese Analyse ist nicht neu. Die Zeitenwenderede des Kanzlers hat bald zweijähriges Jubiläum, das 100 Sondervermögen wurde vor über einem Jahr verabschiedet, und selbst die verspätete nationale Sicherheitsstrategie, die ‚Wehrhaftigkeit‘ im Untertitel trägt, ist ein halbes Jahr alt." Trotzdem habe die Ampelregierung "noch immer nicht vom Status der Sonntagsreden zu dem des Umsetzens umgeschaltet". Wadephul betonte: "Es braucht nicht nur bei den Menschen in Deutschland ein Umdenken. Vor allem braucht es in der Bundesregierung ein Umschalten. Sie muss endlich tüchtig werden, damit das Land kriegstüchtig werden kann. Wer von der Bevölkerung Verteidigungsbereitschaft verlangt, muss bei sich selbst anfangen."
Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner, sprach im Deutschlandfunk von einer "Provokation" des Ministers, die aber wichtig sei. "Die Welt fliegt uns gerade um die Ohren. Und deswegen müssen wir uns damit auseinandersetzen, schnellstmöglich verteidigungsfähig zu werden. Warum? Verteidigungsfähigkeit schreckt ab. Sind wir das nicht, laden wir ein. Das ist ein Kernproblem aktuell", sagte er.
Zugleich ist das Tempo bei der Modernisierung der Bundeswehr aus Sicht von Wüstner noch nicht ausreichend. "Er muss beschleunigen", sagte er in Richtung des Ministers und forderte einen zweiten Rüstungsgipfel mit der Industrie. Der Verbandschef wies darauf hin, dass wegen der Aussonderung von Altgerät und der Abgabe von Kriegstechnik an die Ukraine die Qualität der Einsatzbereitschaft sogar sinke.
Pistorius hatte im ZDF vor Kriegsgefahren in Europa gewarnt und dringt auf Tempo bei der Modernisierung der Bundeswehr. "Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein – und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen", sagte der SPD-Politiker in der Sendung "Berlin direkt".
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat energischer denn je zur Stärkung der Bundeswehr aufgerufen. Doch ob es dazu kommt, erscheint fraglich. Dem Ziel des SPD-Politikers stehen unter anderem die erstarkenden Populisten entgegen, kommentiert Markus Decker. Vorwürfe, die Modernisierung der Bundeswehr gehe zu langsam, ließ er nicht gelten. "Viel mehr Tempo geht gar nicht", sagte Pistorius. Zwei Drittel des 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens seien bereits vertraglich gebunden. Produktion und Lieferungen bräuchten aber Zeit. Zugleich sei man dabei, Strukturen bei der Bundeswehr zu verändern.
Mit Hinweis auf die vergangenen 30 Jahre ohne Blockkonfrontation in Europa sagte der Minister: "Das alles lässt sich, was in 30 Jahren verbockt worden ist, sorry, wenn ich das so sage, und runtergewirtschaftet worden ist, nicht in 19 Monaten wieder einholen." In spätestens fünf Jahren werde die Bundeswehr aber völlig anders aussehen. Zugleich betonte Pistorius, bereits heute sei die Bundeswehr eine der stärksten europäischen Streitkräfte innerhalb der Nato.
Wie Deutschland dauerhaft die Übereinkunft der Nato einhalten will, mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, ist jenseits des Sondervermögens ungewiss. Zwar steigt der Wehretat 2024 um 1,7 Milliarden Euro, das Geld geht jedoch für Tariferhöhungen drauf.