In Paris, Nizza, Nantes und Rennes sowie weiteren Städten kam es nach der Entscheidung des Verfassungsrats erneut zu Protesten. Allein in der Hauptstadt Paris wurden am Freitagabend über 100 Demonstranten festgenommen. In den vergangenen Monaten waren mehrfach Hunderttausende gegen die Rentenreform auf die Straße gegangen. Mit dieser soll ein drohendes Loch in der Rentenkasse verhindert werden. Derzeit liegt das Renteneintrittsalter in Frankreich bei 62. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt aber auch heute schon später: Wer für eine volle Rente nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag - das behält die Regierung bei.
Macron hätte vierzehn Tage Zeit gehabt, um das Gesetz zu unterschreiben. Gewerkschaften hatten ihn am Freitagabend erneut aufgefordert, es nicht zu erlassen. Ab September soll es nun wirksam werden. "Wie Diebe haben Emmanuel Macron und seine Bande mitten in der Nacht ihr Rentengesetz erlassen", twitterte der linke Abgeordnete François Ruffin. Marine Le Pen von der rechtsnationalen Partei Rassemblement National (RN) schrieb auf Twitter, ein Präsident müsse das französische Volk zusammenbringen. Macron sei aber ein "Brandstifter", der die Demokratie beschädige. Le Pen, die durch den Renteneintrittsalter-Streit im Aufwind ist, rief dazu auf, die Regierung und Macron bei den nächsten Wahlen abzustrafen. Sie will die Reform zurückzunehmen, sollte sie an die Macht kommen.
In einem am Sonntag in der Zeitung "Le Parisien" veröffentlichten Interview sagte der gemäßigte Gewerkschaftschef Laurent Berger, mit der nächtlichen Gesetzesverankerung habe Macron vollends seine Verachtung der Arbeitswelt zum Ausdruck gebracht sowie seine Loslösung von der Realität. Für den 1. Mai haben die Gewerkschaften nun zu einem "außergewöhnlichen und populären Mobilisierungstag" aufgerufen. Am 20. April soll es bei der französischen Bahn SNCF einen "Tag des Ausdrucks des Eisenbahnerzorns" geben - einen Tag vor Beginn der Schulferien in den Regionen Paris und Okzitanien.
"Der Kampf geht weiter, und wir müssen unsere Kräfte bündeln", sagte der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon. Die Sozialisten kündigten einen Antrag zur Aufhebung des Gesetzes an. "Ich appelliere an den Präsidenten: Er muss die überwältigende Mehrheit hören, die sich überall in Frankreich gegen diese Reform ausspricht, die das Land spaltet", sagte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. In einer Fernsehrede am Montag will Macron versuchen, die Gemüter zu beruhigen. Er werde in einer "Logik der Beschwichtigung" sprechen, um eine Bilanz der dreimonatigen Krise zu ziehen, wie Regierungssprecher Olivier Véran am Samstag dem Fernsehsender "TF1" sagte.
Ungeachtet der Proteste gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters will Ministerpräsidentin Borne weitere Reformen durchsetzen. Man wolle ein Frankreich der Vollbeschäftigung aufbauen, Chancengleichheit garantieren, für Gesundheit und Bildung handeln, sagte Borne am Samstag während eines Treffens der Präsidentenpartei Renaissance in Paris.
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