Mehr als 500 Demonstranten wurden im Rahmen der Proteste getötet, rund 20.000 nach Schätzungen von Menschenrechtlern inhaftiert. Die Justiz stand nach der Vollstreckung von Todesurteilen gegen Demonstranten im Land und international in der Kritik. Die Begnadigungen sind an Bedingungen geknüpft, berichtete IRNA weiter. Unter anderem werde keinen Gefangenen vergeben, denen Spionage zur Last gelegt wird. Auch Mord, Beschädigung oder Brandstiftung von Regierungs- oder Militäreinrichtungen schließe einen Gnadenspruch aus.
Berichte staatlicher Medien über das Dekret boten keine Erklärung für die Entscheidung von Khamenei, der das letzte Wort in allen Staatsangelegenheiten im Iran hat. Allerdings waren Gefängnisse und Hafteinrichtungen im Land nach jahrelangen Protesten wegen wirtschaftlicher und anderer Angelegenheiten bereits mit einer Überfüllung konfrontiert.
Unterdessen fordert ein seit langem inhaftierter Oppositionsführer im Iran ein landesweites Referendum darüber, ob eine neue Verfassung für die Islamische Republik geschrieben werden soll. Mir Hossein Mousavis Anruf, der am späten Samstag von der oppositionellen Kaleme-Website veröffentlicht wurde, beinhaltete, dass er nicht glaube, dass das derzeitige System des Iran, einem obersten Führer das letzte Wort zu geben, noch funktioniert. Er forderte auch die Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung "echter Vertreter", um eine neue Verfassung zu schreiben.
Es bleibt unwahrscheinlich, dass die iranische Theokratie dem Ruf des 80-jährigen Politikers folgen wird. Er und seine Frau stehen seit Jahren unter Hausarrest, nachdem seine umstrittene Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2009 zu den weit verbreiteten Protesten der Grünen Bewegung geführt hatte, die auch von Sicherheitskräften niedergeschlagen wurden. Allerdings hatte er selbst jahrzehntelang die iranische Theokratie unterstützt und in ihr gedient. Im Jahr 2019 verglich sich Mousavi Khamenei mit dem ehemaligen Schah Mohammad Reza Pahlavi, dessen Herrschaft dazu führte, dass Truppen Demonstranten bei einem Ereignis niederschossen, das zur Islamischen Revolution führte.
Irans politische Führung steht seit Ausbruch der landesweiten Proteste Mitte September unter enormem Druck. Ausgelöst vom Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam stürzte Teheran in die schwerste politische Krise seit Jahrzehnten. Die 22-Jährige war vor fast fünf Monaten wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden.
Am 11. Februar feiert die Islamische Republik ihr 44-jähriges Bestehen. Im Februar 1979 wurde die Monarchie im Iran nach der Rückkehr Ruhollah Chomeinis aus dem Pariser Exil gestürzt. Die Feierlichkeiten am kommenden Samstag markieren den zehnten Tag nach Chomeinis Ankunft in der Hauptstadt Teheran. Chamenei übernahm 1989 das Amt als politisches und religiöses Oberhaupt. Der 83-Jährige hat in allen strategischen Belangen das letzte Wort.
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