Schottland: Das Oberste Gericht hat entschieden, dass das Regionalparlament ohne Zustimmung aus London kein Unabhängigkeitsreferendum ansetzen darf. Der Plan der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon für eine Volksabstimmung im Oktober 2023 ist also dahin. Doch die Befürworter einer Unabhängigkeit lassen nicht locker. Sturgeons Schottische Nationalpartei (SNP) verweist darauf, dass sich in allen Umfragen seit dem Urteil des Supreme Court eine Mehrheit für die Loslösung ausgesprochen hat. Im Regionalparlament dominieren bereits SNP und Grüne, die ebenfalls ein unabhängiges Schottland zurück in die EU führen wollen.
Sturgeon will nun die nächste britische Parlamentswahl - geplant für 2024 - zu einem Quasi-Referendum machen. Wenn dann eine Mehrheit der Schotten bei Pro-Unabhängigkeitsparteien ihr Kreuz mache, sei dies ein klares Mandat, argumentiert sie. London müsse diesem demokratischen Willen entsprechen. Es dürfte auf lange Zeit Sturgeons letzte Chance sein. Am 19. März will ihre Partei in Edinburgh darüber diskutieren und entscheiden, wie die weitere Strategie aussehen soll.
Wales: Seit 100 Jahren wird der Landesteil von der Labour-Partei regiert - und die ist eindeutig für die Union. Dennoch nehmen im Schatten der Schotten die Unabhängigkeitstendenzen in Wales zu. Die SNP-Schwesterpartei Plaid Cymru ist Regierungspartnerin von Labour und hat eine "Unabhängige Kommission für die konstitutionelle Zukunft von Wales" durchgesetzt. Deren Ergebnis: eine Unabhängigkeit sei eine von drei "praktikablen" Lösungen - anders als der Status quo.
In Umfragen spricht sich derzeit knapp ein Drittel für die Loslösung aus. Das klingt wenig, aber die Zahl hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Befürworter betonen, dass Schottland vor rund 15 Jahren ähnliche Zahlen hatte - und sich dort die Gewichte nun verschoben hätten. Vor allem stören sich Waliser daran, dass in vielen Bereichen die Regierung in London das letzte Wort hat. Dazu hat auch der skandalöse Kurs der Konservativen Partei in London beigetragen. Beim Brexit-Referendum 2016 hatte eine Mehrheit der Waliser für den Austritt gestimmt, dies hat sich längst geändert.
Nordirland: Die Lage in der früheren Bürgerkriegsprovinz ist explosiv. Vor gut 100 Jahren als Bastion protestantischer Anhänger der Union mit Großbritannien gegründet, leben mittlerweile mehr Katholiken in Nordirland. Sie sind traditionell für eine Vereinigung mit dem EU-Staat Irland. Diese Entwicklung macht es wahrscheinlich, dass es in den nächsten Jahren tatsächlich ein Referendum geben wird. Hört man sich in der irischen Hauptstadt Dublin um, scheint die Frage nur zu sein, wann es zum Zusammenschluss kommt. Der jüngsten Umfrage zufolge würden zwei Drittel der Iren dafür stimmen.
Doch in Nordirland stellt sich die Lage anders dar. Nicht nur würde die große Mehrheit der Protestanten für den Verbleib im Königreich stimmen, sondern auch gut ein Fünftel der Katholiken. Experten haben einen wichtigen Faktor dafür ausgemacht: Angst vor neuen Unruhen. So verübte die republikanische Terrorgruppe Neue IRA wieder Anschläge.
Aber vor allem auf der loyalistischen Seite brodelt es. Die Zeitschrift "Purple Standard", die als Sprachrohr der Terrorgruppe UVF gilt, warnte jüngst, die Führung schaffe es nicht mehr, wütende Nachwuchskräfte zurückzuhalten. Es geht um die Folgen des Brexits: Aus Sicht der Unionisten gefährdet der Vertrag zwischen der EU und Großbritannien die Bande zwischen Belfast und London. Denn mit diesem sogenannten Nordirland-Protokoll ist eine Zollgrenze in der Irischen See entstanden. Dagegen sträuben sie sich mit aller Macht.
Das lähmt die Provinz. Denn wegen des Brexit-Streits boykottiert die wichtigste protestantisch-unionistische Kraft DUP die Bildung der vorgesehenen Einheitsregierung mit der republikanisch-katholischen Partei Sinn Fein. Eine Neuwahl löst das Patt vermutlich nicht. Ausgerechnet zum 25. Jubiläum des Karfreitagsabkommens im April, das 1998 den Bürgerkrieg beendete, droht daher eine Eskalation.
England: Der mit Abstand größte Landesteil ist der einzige, der keine eigene Regierung hat und kein eigenes Parlament. Stattdessen entscheiden die Zentralregierung und das britische Parlament gleich mit. Das stört bisher kaum jemanden. Kein Wunder, ätzen Kritiker - schließlich sei England der große Rückhalt der Konservativen Partei, die seit Jahrzehnten in Wales und Schottland kein Bein mehr auf den Boden bekommt und im Sonderfall Nordirland ohnehin nicht zur Wahl steht. Die Tories würden deshalb zunehmend eine nationalistisch-englische Politik betreiben, die vor allem ihren Wählern gefalle. Die Gefahr dabei: Wenn die Tendenz andauert, könnte aus Großbritannien in einigen Jahren ein Kleinengland werden.
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