Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD). Erdogan füge seinem Land schweren Schaden zu, weil er mit seiner provozierenden, beleidigenden und populistischen Art der Bedeutung der Türkei als Brücke zwischen Europa und dem Nahen Osten nicht gerecht werde, sagte er dem RND. "Zuletzt hat er durch ungeheuerliche und infame Tiraden gegen Israel und seine Verteidigung des Hamas-Terrors abermals Öl ins Feuer eines brandgefährlichen Konflikts gegossen."
Der SPD-Politiker fuhr jedoch fort: "Es wäre unklug, in dieser dramatischen Lage nicht alle Kontakte zu nutzen. Der Besuch ist also richtig. Wenn wir nur mit denjenigen sprechen wollen, die uns in all ihren Interessen und Positionen genehm sind, werden wir wenig erreichen." Nur sei Nachsicht im Umgang mit autoritären Herrschern wenig erfolgversprechend, betonte Roth. "Deshalb sollte für Erdogans Besuch in Berlin gelten: wenig Lametta, viel Klartext."
Erdogan kommt am Freitag zu einem Kurzbesuch nach Deutschland. Geplant ist ein Abendessen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD). Bei dem Gespräch gehe es um "die gesamte Bandbreite politischer Themen", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Freitag und nannte unter anderem die Lage im Nahen Osten. Vor dem Treffen mit Scholz werde Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Erdogan empfangen.
Unklar ist, ob dieser am Samstag das Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und der Türkei im Olympiastadion ansteuern wird. Der Präsident war zuletzt 2020 in Deutschland.
Scholz hatte den türkischen Staatschef nach dessen Wiederwahl im Mai dieses Jahres nach Deutschland eingeladen. Es ist der erste Besuch des Präsidenten in Deutschland seit 2020, als er an der Libyen-Konferenz der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teilnahm. Der Besuch gilt vor allem wegen Erdogans Haltung zum Gazakrieg als heikel. Nach der Terrorattacke auf Israel mit mehr als 1200 Toten hatte Erdogan die islamistische Hamas als "Befreiungsorganisation" bezeichnet.
Fast jeder zweite Deutsche ist gegen den anstehenden Berlin-Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der kommenden Woche. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich 45 Prozent dafür aus, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Erdogan aufgrund seiner Haltung zur islamistischen Hamas auslädt. 32 Prozent sagen dagegen, er sollte trotzdem im Kanzleramt empfangen werden. Fast ein Viertel der Befragten machte keine Angaben.
Andererseits ist die Türkei ein wichtiger Partner für die Bundesregierung. In Deutschland leben rund drei Millionen türkischstämmige Menschen, so viele wie nirgendwo sonst außerhalb der Türkei. Es gibt zudem enge Wirtschaftsbeziehungen. Deutsche Urlauber sind nach den Russen die zweitgrößte Touristengruppe in der Türkei.